Anmerkungen zu Primula veris

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Wieso wird die Echte Schlüsselblume "echt" genannt? Der botanische Name dieser "Blume des Jahres 2016" mag dazu verleiten. Primula veris klingt danach: wer mal Latein hatte, der weiß, verus, das bedeutet wahr. Doch damit ist man einem Irrtum aufgesessen. Veris lässt sich nicht von verus ableiten, sondern vom lateinischen Wort "ver", und das bedeutet Frühling. Veris ist der Genetiv, heißt also "des Frühlings". Und da wir beim Latein sind: Primula ist die Verkleinerungsform von prima = die Erste. Wenn man also den botanischen Namen wörtlich nähme, dann hieße die Echte Schlüsselblume "Die Erste des Frühlings".

Der eigentliche Grund, warum diese Schlüsselblume echt genannt wird, mag daran liegen, dass sie seit alters her als Heilpflanze gesammelt wurde. Nicht von Ungefähr hieß diese Schlüsselblume einst auch Primula officinalis oder Apothekerprimel. Die aus den Wurzeln aber auch den Blüten gewonnenen Drogen sind allerbeste Hustenmittel. Das Sammeln in der Natur verbietet sich heut zu tage selbstverständlich, denn die Art ist rar geworden und steht unter strengem Naturschutz. Doch in der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft wurden unter Professor Bomme Feld-Versuche im mehrjährigen Anbau gemacht. Die Ergebnisse waren so positiv, dass inzwischen vermutlich einige Heilpflanzenbetriebe mit dem Feldanbau begonnen haben.

Warum ist Primula veris so rar geworden? Wieso ist ihre Doppelgängerin Primula elatior viel häufiger anzutreffen? Das liegt wohl daran, dass die Lebensräume beider Arten so grundverschieden sind. Primula elatior, die Hohe Schlüsselblume bevorzugt einen frischen bis feuchten Standort. Waldränder, sonnenabgewandte Hänge, Auwälder, Feuchtwiesen sagen ihr zu. Primula veris dagegen wächst an sonnigen Hängen, auf Trockenrasen, aber auch in trockenen Laubwäldern. Doch trockene Wiesen kommen schneller unter den Pflug, als nasse Wiesen. Oder sie werden aufgeforstet. Auf jeden Fall sind geeignete Standorte häufig der Gefahr ausgesetzt, beseitigt zu werden, manchmal als Abfalldeponie! Wo eh nichts Gescheites wächst, da kann man den Dreck hinschmeißen.

Mit beiden Primelarten habe ich Gartenerfahrungen sammeln können. Die Hohe Schlüsselblume kommt in Eresing fast von allein in den Garten. Sie samt sich aus, sie mischt sich mit anderen Primeln, sie fühlt sich in diesem Halbschattengarten wie zu Haus. An einem sonnigen Gehölzrand wächst aber auch die Echte Schlüsselblume! In Jamlitz, auf dem trockenen Sand wäre es vergebliche Liebesmüh, irgendwelche Primeln anzusiedeln. Mit einer Ausnahme: In einer Ecke des "Lustgartens" in der Gesellschaft von Buchsbäumen und dem chinesischen Gewürzstrauch gedeiht seit einigen Jahren Primula veris. Sie gedeiht dort nicht nur, sondern vermehrt sich auch per Samen.

Zu guter Letzt muss ich als Nasenmensch noch ein Ärgernis loswerden. Wer überprüft endlich mal die in der gesamten mir zugänglichen Literatur wiederholte Behauptung: Primula veris duftet, Primula elatior duftet nicht. Entweder schreibt hier einer vom anderen ab, ohne seine Nase zu bemühen oder: Meine eigene Nase spinnt. Noch nie hab ich den Duft der Echten Schlüsselblume wahrgenommen, wohl aber den köstlichen, frischen Duft des gewöhnlichen Hohen Schlüsselblümchens.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert