Braunes Hemd, graue Hose

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Vor kurzem kamen mich Neupächter unseres Schrebergartenvereins besuchen. Während er über seine handwerklichen Fähigkeiten referierte, sah sie sich unsere Laube an, fand ein Gartenbuch über Wolfgang Oehme, setzte sich und blätterte durch das Buch. Bald kicherte sie. »Also nein!«, hörte man sie sagen und, wie man die Westfalen zuweilen reden hört, wenn ihnen etwas total spanisch vorkommt: »Nee, ne?« Aber dann fragte sie etwas, was mich an eine Bitte erinnerte, die jemand aus dem Gaißmayer-Autorenkreis an mich herangetragen hatte. »Was ist denn das für ein komischer Typ hier?«

Was es denn mit Wolfgang Oehme auf sich habe. Ich solle was schreiben, hatte man mich gebeten. Es sollte darum gehen, warum ich vor fünfzehn Jahren überhaupt auf die Idee gekommen war, ein Buch über den Mann zu schreiben und warum dieser Name bis heute immer wieder aufploppt. Diese Zeilen gerade jetzt zu schreiben, hat mit einem traurigen Umstand zu tun. Vor zehn Jahren starb Wolfgang Oehme, Mitte Dezember 2011.

Entscheidend für die Idee, sich näher mit Oehme zu beschäftigen, war die erste Begegnung vor 25 Jahren. Wir hatten uns in Baltimore an seinem Haus verabredet. Von der ersten Minute an war es seltsam. Es war ein Sonntag, aber Wolfgang sah aus, als wäre es Montag. Das Haus war groß, mit Holz verkleidet, das Äußere verriet Gemütlichkeit im Innern. Doch er ließ meinen Freund und mich nicht rein. Toilette? Kleines Geschäft? Man sollte ums Haus gehen, da würde sich schon ein Bäumchen finden. Süffisantes Lächeln. Dann fuhr er uns herum, ins Zentrum von Washington DC, zu »seinen« Gärten. Rudbeckia 'Goldsturm' blühte noch, die Gräser waren auf dem Optimum. Oehme redete nicht viel und wenn, dann von Goldsturm, Herbstfreude und Malepartus. Dann fuhren wir hinaus aufs Land und kamen zum Wochenendhaus eines reichen Herrn an der Chesapeake Bay. In dem riesigen Garten stehend, meinte er: »Letzten Herbst haben wir hier 30.000 Narzissen gepflanzt. Eine Sorte. Berlin.« Dazu wedelte Oehme einmal durch die Luft, mit seiner kräftigen, rissigen Pranke, die dann wieder in der ausgebeulten Hosentasche verschwand. »Wie, was, eine Sorte? Da gibt es doch viele Sorten, die man mischen kann, mit unterschiedlichen Blühzeiten. Warum nur eine Sorte?«, fragte ich nach. »Der wollte was Gelbes.«

Das Schöne an Wolfgang Oehme war, dass man das, was er gesprochen hat, größtenteils nicht vergisst. Er sprach nicht viel, kein Wort zu viel, fast nur über Pflanzen, über sich selbst fast nichts. Viele bekannt oder, wie er, berühmt gewordene Menschen reden viel, manche schreiben auch, was an sich nichts Schlechtes ist, im Gegenteil, man lernt ja gern dazu. Aber man beobachtet, auch bei sich selbst, dass jedes weitere Wort die Verlockung birgt, eine Schüppe drauf zu legen, in lyrischem Kraftakt das eigene Werk wertvoller zu machen als es ist oder mit metaphorischen Verrenkungen Bezüge herzustellen, die beim genauen Hinsehen sehr weit hergeholt sind. Diese als »heiße Luft« zu bezeichnenden Extrainformationen gab es bei Wolfgang Oehme nicht.

Das Reduzieren und Vereinfachen gehörte zu seinem Lebensprogramm. Im Kleiderschrank: Eine Ausstattung für Beerdigungen und Hochzeiten, ein bisschen was für lockere Partys und für Sonntagsspaziergänge. Für die Arbeit gab es zwar mehr Garnituren, aber in den Wochen unserer gemeinsamen Unternehmungen schien er immer das gleiche anzuhaben. Alles war eher dunkel, erdfarbig. Die Kluft für die Arbeit unterschied sich nicht besonders von der Spaziergangsmontur, zumal es den reinen Spaziergang, wie wir ihn kennen, bei Oehme gar nicht gab. Meist verband er einen Gartenbesuch damit, und dann gab es natürlich etwas zu zupfen und zu schneiden.

Auch beim Einkaufen verstand Oehme sich aufs Reduzieren. Einen Abend in der Woche opferte er dafür und packte im engen Bioladen seinen voluminösen Einkaufswagen bis oben hin voll. Damit musste man auskommen. Wenn Gurken im Angebot waren, kaufte er sieben Gurken, für jeden Tag eine. Sein Hang zur Reduktion geriet durch seinen Stil der Pflanzenverwendung zu nicht weniger als einem Markenzeichen. Bescheidenheit kann man das nicht nennen. Oehme dachte immer groß und in immensen Mengen. Größe machte sich bei ihm aber nie in Vielfalt bemerkbar, im Gegenteil. Hier noch ein Wortwechsel, den ich nach den vielen Jahren noch fast wörtlich zitieren kann. Es ging um die drei Landschaftsarchitekten der nächsten Generation, die das Büro weiterführen sollten: »Die können alles, nur eins nicht. Die können sich nicht beschränken. Das kann nur ich.« Das Zitat kam nicht in mein Buch. Auch sein Partner James van Sweden vertraute mir an, was auf keinen Fall gedruckt werden durfte: »Stefan, ich kann kein 'Goldsturm' mehr sehen.« Van Sweden war diese Beschränkung ebenfalls leid. Nachdem im neuen Jahrtausend die Folgen des Klimawandels spürbar wurden und 'Goldsturm' vielfach ausfiel, ersetzte er seine Lieblingsstaude durch Rudbeckia subtomentosa. Die verträgt Trockenheit besser. Sein Markenzeichen konnte bleiben.

Kann und sollte es in der Gartengestaltung darum gehen, etwas zu schaffen, was Moden überdauert, über ihnen steht, das einen inneren Wert hat, der dauerhaft gültig ist, nicht abgelöst werden kann? Das ist schwer zu beantworten. Mit Sicherheit lässt sich in Bezug auf Wolfgang Oehme sagen, dass ihm der Begriff »Mode« weitgehend fremd war. Das betraf die Schuhe und Kleider, den Haarschnitt, das Auto – Moden spielten keine Rolle, es musste taugen, musste solide, praktisch sein. Und das gilt auch für seine planerische Arbeit. Er hatte ein paar wichtige Beobachtungen gemacht. Etwa die, dass 15 Sedum 'Herbstfreude' zwischen 20 Rudbeckia 'Goldsturm' und 17 Pennisetum 'Hameln' keinen besonderen Eindruck machten, aber wenn man an jede Zahl eine Null hängt und besser noch die Ziffer vorne um eine Zahl erhöht, dann durchaus. Oder die, dass die Beschränkung auf wenige Arten die Möglichkeit deutlich verbessert, dass die Bauherren ihren Garten selbst pflegen können und das beabsichtigte Bild viele Jahre lang stabil bleibt, während es sich im Jahreslauf ständig verändert. Ausbleibende Frustration darüber, dass alles zu kompliziert ist, erhöht die Lust des Laien, sich selbst an die Arbeit zu machen. Das war seine Erfahrung.

Von bestimmten Menschen sind ihm Argwohn und Missbilligung entgegengebracht worden, von anderen Vertrauen und Wertschätzung. Auch wenn er dem einen oder anderen Menschen verschlossen, manchmal barsch, nie eloquent, immer verschroben vorkam, hatte er doch feine Sensoren. Nachdem in den 80igern und 90igern die großen Magazine von ihm und van Sweden berichtet hatten, wusste er, dass er es trotz seiner Schrulligkeiten im Umgang mit Menschen sehr weit gebracht hatte. Wurden seine Persönlichkeit und seine Überzeugungen missachtet, zog er sich schnell zurück, vertiefte dafür die Beziehungen, in denen er sich aufgehoben fühlte. Kämpfen um Anerkennung war ihm fremd, wer seine ausgebeulten Hosen unpassend fand, keine schmutzigen Fingernägel am Abendbrottisch duldete, seine nur spärlich ausgeprägte politische Haltung bemängelte, wer ihn für halb verrückt hielt, weil er nachts mit Taschenlampe in »seinen« Gärten Unkraut zupfte anstatt gemütlich zu Hause zu sitzen – der konnte ihn kreuzweise. Das kann arrogant wirken, es kann aber auch entzücken und sogar begeistern. Am wohlsten fühlte er sich in seiner »Wolf Gang«, in der Mehrheit von Frauen besetzt, die ihm an den Lippen klebten und gärtnerisch aktiv waren, vielfach ohne Auftrag, manchmal sogar verwegen in öffentlichen Parks Stauden in Rasen setzend.



Wenn ein Mensch stirbt, lebt er in Erinnerungen weiter. Das ist banal. Als Wolfgang Oehme mich Ende 2011 anrief und mir offenbarte, dass wir uns nicht mehr wiedersehen würden, gab er mir eine Art Auftrag, den ich wiederum erneut fast wörtlich zitieren kann: »Werde mein Botschafter. Es ist alles richtig, was ich gemacht habe. Du musst mich lebendig halten, wenn ich tot bin.« Kurze Sätze, einfache Worte, keines davon überflüssig. Nach nun zehn Jahren ist dieser Mann für mich immer noch sehr lebendig und ich überlege, woran das liegt. Es sind nicht nur die Bilder, die er und James van Sweden mit ihren Gärten schufen. Es waren nicht die Regeln, nach denen diese Gärten funktionieren. Es ist längst gelungen, sie weiter zu verfeinern und damit Erfolg zu haben.
Alle, die Wolfgang Oehme näher gekannt und geschätzt haben, offenbarte sich über diese Bilder hinaus ein großer und großartiger Wert, den sein Wesen ausmachte. Authentizität nennt man das glaube ich. Als Landschaftsarchitekt zu arbeiten und auf die Frage, was er sei, »Gärtner« zu antworten. Nicht sein graubraunes Hemd gegen ein weißes oder hellblaues Hemd auszutauschen, wenn sich ein Fotograf ankündigt. Zu sein, was man sein will: Ein Mann aus Chemnitz, der als Gärtner nach Berlin, von dort nach England und schließlich nach Amerika ging, um im Land der unbegrenzten Möglichkeit vorhandene Grenzen der Gartengestaltung zu überwinden. Im Gartenbau setzte die überaus begrenzte Pflanzenpalette die Grenze, die er überwinden musste, um seine Träume verwirklichen zu können. Er war sich sicher, dass es dabei nur auf ihn selbst ankommt. Dass er in James van Sweden einen Büropartner gefunden hatte, der seine Defizite auszugleichen vermochte, ohne dass sich die beiden darüber lange verständigen mussten, gehört allerdings auch zur Wahrheit.

Zum Schluss noch eine Andekdote, eine Verdeutlichung von Oehmes Selbstsicherheit, die alle Unzulänglichkeiten überstrahlt. Auf einem Vortrag in Berlin passierte ihm, was allen Referenten im Dia-Zeitalter drohte und manchen widerfuhr: Das zweite Dia-Magazin fiel zu Boden, die Redezeit war aber begrenzt. Angeregtes Gemurmel im Hörsaal, doch einer blieb völlig gelassen. Oehme selbst. Die Studentin solle die Dias wieder ins Magazin stecken, so wie sie kommen, das sei egal. Es war schon allein deshalb nicht so wichtig, weil jedes zweite Bild entweder zu dunkel, zu hell oder unscharf war und nun waren die Bilder auch noch durcheinander, verkehrt herum, ein paar standen sogar auf dem Kopf. Doch Oehme schnodderte in seinem schwer verständlichen Kauderwelsch ein paar Wortfetzen ins Mikro zu dem, was man da sah und mit jedem Bild kippte die Stimmung etwas mehr. Rein fachlich brachte das alles nicht viel, aber als der Referent spürte, wie sich die Zuhörerschaft amüsierte, machte es ihm erst richtig Spaß. Er nutzte die lockere Stimmung aus, für sich. Nach dem letzten Bild, das auch nichts taugte, kam die helle weiße Leinwand, Oehme endete halb lachend mit »so, das war's« und hatte Hunger. Kein Zuhörer wird diesen Vortrag je vergessen. Nicht, dass die Fachwelt solche Vorträge brauchen würde. Aber der Welt mangelt es an Typen, die unbeirrt weitermachen und selbst solche Vorträge schadlos überstehen.




Anmerkung der Redaktion:

»Zwischen Gartengräsern: Wolfgang Oehme und seine grandiosen Gräser in der Neuen Welt« erschien im Jahr 2008. Stefan Lepperts Buch ist eine einfühlsame Hommage an den persönlichen und beruflichen Werdegang des damals fast 80-jährigen Gartenarchitekten. Antiquarisch wird es – meist erheblich über dem Ladenpreis – noch angeboten. Ein kleiner Bestand neuer Exemplare ist noch beim Autor vorhanden und kann zum damaligen Ladenpreis (€ 39,95 plus Porto) über seine Website bestellt werden:: http://www.stefanleppert.de.


Stefan Leppert
Der Buchautor, Journalist und Übersetzer Stefan Leppert versorgt uns »Nachrichten aus dem Schrebergarten«, denn er gärtnert nicht nur in einer sehr besonderen Kleingartenanlage.
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Text und Fotos: Stefan Leppert