Der Hortomane im September

Text: Hubertus Albersmeier
Fotos: Ute Eckartz

Spätestens im September ist der Hortomane im Speicher- und Sammelmodus, steckt den Schnüffelrüssel in die Pflanzensortimente der gerade angesagten Baumschulen und Staudengärtnereien. Auch durchkämmt er die Liegenschaften der Mitgärtner nach entnehmbaren, entbehrlich wirkenden Ablegern, wird insgesamt aufdringlicher und begehrlicher in seinem Aneignungsverhalten!

Das führt dann bei mir regelmäßig, ich muss es gestehen, zur Entstehung eines Sammelplatzes, an dem Pflanzenfindlinge erstversorgt, eingeschlagen, getopft und weitervermehrt werden können. Kübel unterschiedlichster Pflanzsubstrate wie Anzuchterde, Sukkulentenerde, schwach gedüngte Pflanzerde, Dachbegrünungsgranulat stehen parat, Topflager und Pflanztisch, alles hergerichtet! Das ist die Zeit, wo die Autositze vererden, die Fensterscheiben von innen beschlagen, der Friedhofscontainer noch schnell im Dunkeln mit Taschenlampe nach 9er und 12er Töpfen durchsucht wird.


Dieser Sammelplatz unterliegt einer strengen Regel: Nichts von alledem wird neu in den Garten eingebracht, wenn nicht das gesamte Umfeld großflächig sinnvoll gestaltet wird. Dieser Sammelplatz unterliegt einem Fluch: Nichts von alledem wird je seinen Weg in den Garten nach vernunftgesteuertem Planungsentscheidungen finden!


Vor diesem Hintergrund erlebte ich einen wunderbaren Tag. Ein ordentlicher Ableger Bidens heterophylla 'Lemon Drops' und ein schönes Asarum maximum 'Ling-Ling' trug ich in Richtung Sammelplatz, reizende Mitbringsel von einer Gartenfreundin, die bei meinem Rundgang durch ihren schönen Lustgarten aufmerksam mein Interesse daran wahrgenommen hatte. »Zwei Stauden«, so dachte ich, »die setzt du doch eben direkt! Hast für das Bidens am Staketenzaun sowieso schon eine passende Pflanzlücke und das Asarum? Das kann ja sowieso nur hinten bei der Catalpa in den lichten Schatten!« Vor der Umsetzung dieser spontanen Direktplanung meldete sich dann doch noch (schwach) das Gewissen: »Nicht vorschnell an den erstbesten Platz! Keine faulen Kompromisse! Nicht erst was setzen, was da dann später doch weg muss!«

Diese Maßregeln im Herzen bewegend, trete ich an den halbschattigen Pflanzort heran, erblicke einen möglichen freien Pflanzplatz – ungehemmt fährt die Pflanzschaufel ins Erdreich, um das pandabärgesichtige Blütenwunder Asarum 'Ling-Ling' zu versenken. Beim Austopfen fallen mir zwei Ausläufer auf, die über den Topfrand fingern. Ich sehe sie schon durch den wüchsigen, garen Niederbördeboden ziehen, sich flächig etablieren, stelle mir die erste Blüte vor (auf die mich bestimmt erst wieder ein Gartenbesucher aufmerksam machen muss), denke dann an ihren Blütezeitpunkt und finde es auf einmal nicht mehr in Ordnung, dass sie fortan neben der herbstblühenden Tricyrtis hirta stehen soll. Gäbe es da nicht etwas im gleichen Blühzeitraum, was die Attraktivität des Ortes noch steigern könnte? Doch schnell einige ich mich mit mir selbst »zwei so auffällige Pflanzengestalten sollten sich nicht gegenseitig die Show stehlen!« – beschließe, eine alternativlos geniale Vergesellschaftung erschaffen zu haben und trete stolz zurück, um die Pflanzsituation auf mich wirken zu lassen.

Aber: Mit dem Lichtbedarf stimmt noch etwas nicht! Ist das hier absonnig genug, ist das im Sommer vielleicht zu trocken? Zwei Sonnenstunden weniger am Nachmittag würde beiden gefallen. Die lichtkronige, mannshohe Täuschende Stachelesche (Zanthoxylum simulans), erst vor wenigen Tagen bei einem Gartenbesuch von einem Baumsammler für den Sammelplatz erstanden, die könnte da passen. Um ihr zwei Meter südlich der zu schaffenden Halbschattenfläche einen Pflanzplatz zu geben, muss schnell noch eine Taglilienfläche geräumt werden, die mittlerweile zu absonnig stand und zunehmend blühfauler wurde.

Jetzt ist der Gärtner im Flow! Die Jacke liegt vorne am Tor, der Pullover hinten am Rosenbogen, der Baum ist gesetzt! Das ist jetzt ein ganz besonderer Schweiß, der da fließt, Eiferschweiß, enthemmt und zu jeder Selbstreflexion unfähig habe ich mich zum Schöpfer aufgeschwungen! Jetzt noch schnell einen Bodendecker aus dem Fundus des Gartens, aus dem Low-Budget-Bereich für die kleine Baumscheibe!

Festuca scoparia 'Pic Carlit', das gute alte Bärenfellgras ist da immer eine sichere Bank, unbegrenzt teilbar, wächst sicher an, wenn man die einzelnen Tuffs nur klein genug portioniert, zieht sich verlässlich bis zum Frühjahr zu einem grünen, dichten Bärenfell zusammen, ist gut eingrenzbar, wenn die kostspieligere Nachbarschaft mit dem höheren Gartenwert mehr Platz braucht. Darüber hinaus wirkt es noch ganzjährig gefällig und stiehlt niemandem die Show! Aber schmalblättrige kleine botanische Narzissen gehören noch bei nächster Gelegenheit unter das Bärenfellgras – und die modrigen Brennholzscheite, vor zehn Jahren vom Geranium überwuchert und gestern wiedergefunden, könnten in dieser Gartensituation auch noch gut wirken!

Das Schönste: Mir hat dieser Tag etliche Quadratmeter offenes, pflanzfertiges Gartenland gebracht, Keimzellen für weitere kreative, zweifelhafte, schockierende Vergesellschaftungen.
Körperlich schön ausgepowert geht es im ersten Dämmer nach Hause, das Rodespatenheiligtum abgewienert und dann ein Schnittchenteller mit Hausmachergeschichten vom hiesigen Metzger verputzt!

Hubertus Albersmeier
... im Lippetaler Bördeboden gut auf- und eingewachsen. Nach jugendlichen Ausflügen in die Autoschrauber- Szene widmet er sich beständig und mit nicht nachlassender Euphorie der Gartenkultur. Nicht zurückschreckend vor hohen Leitern und gefährlich...
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