Die Schönen des Tages – Zistrosen

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Alle Zistrosen stammen aus dem (erweiterten) Umkreis des Mittelmeerraums; vom südwestlichen Frankreich, Spanien, Portugal einschließlich der Kanaren bis nach Kreta, von Marokko und Algerien bis nach Anatolien und Albanien. Die teils zwergwüchsigen, teils über mannshohen Sträucher sind typische Pflanzen der Garigue bzw. Macchia, wachsen vorzugsweise auf steinigen, mitunter sehr trockenen Böden oder in lichten Eichen-, Pinien- und Kieferwäldern. Das bedeutet: Die meisten Arten halten keine scharfen Fröste aus, werden bei uns – bislang – hauptsächlich in Kübeln gezogen. Von Ausnahmen schreibe ich gleich.

Sämtliche Arten (und Sorten) sind wintergrün, mit hell- oder dunkelgrünen oder auch graugrünen, ja fast weißlich-filzigen Blättern. Viele der rund zwei Dutzend taxonomisch definierten Arten (mit zusammen noch einmal gut zwei Dutzend Unterarten) werden mit der Zeit ziemlich sparrig, manche locker verzweigt, andere eher dicht buschig. Der Rückschnitt ist nicht ganz einfach, manchmal können nach einer starken Kürzung, wenn man eine dichte Belaubung zu sichern versucht, ganze Äste völlig absterben. Bei mir dürfen sie einfach wachsen, wie sie wollen, auch wenn sie ein wenig verkahlen oder bizarre Formen annehmen – es sind halt Geschöpfe der mediterranen Buschvegetation mit ähnlichen Wuchseigenschaften wie Rosmarin, Lorbeer, Salbei oder die Helichrysum-Arten (Currykraut und Verwandte) und die Santolinen (Heiligenkräuter).

Dass sie nicht immer dicht belaubte, geschlossene Büsche bilden, vergelten die Zistrosen aber mit einer wunderbaren Eigenheit: dem buchstäblichen Ereignis ihrer Blüte. Manche Arten bilden einzelnstehende Knospen an den Enden von Verzweigungen aus, andere treiben Trugdolden von sechs, sieben oder mehr dicken Blütenknospen. Und diese Knospen öffnen sich nicht alle gleichzeitig, sondern nacheinander. Aber bei fast allen Zistrosen hält sich die einzelne Blüte nur wenige Stunden: Sie öffnet sich am Morgen mit den typischen, leicht zerknitterten Kronblättern, fünf an der Zahl, wie bei den meisten Gewächsen der Gattung der Malvenartigen. Sie sehen aus wie eine vergrößerte, hauchzarte Variante der Blüten von Wildrosen, etwa unserer einheimischen Hundsrose. Die Farben reichen von strahlendem Weiß über Rosa, fast Purpurrot oder Violett, bis ins Bläuliche. Einige Arten und mehrere gezüchtete Hybriden besitzen gelbe oder dunkelrote Flecken am Grund der Kronblätter, um die zahlreichen, quittegelben Staubblätter herum.

Am frühen Nachmittag aber beginnen die Blütenblätter schon zu fallen. Nach wenigen Tagen liegt ein Teppich aus verstreuten, bunten Kostbarkeiten auf dem Boden. Aber jeden Morgen öffnen sich neue Blüten, bei manchen Arten über drei oder sogar vier Wochen! Große Büsche präsentieren so jeden Tag fünfzig, achtzig oder auch über hundert der schlichten, aber märchenhaft schönen Blüten – die größten messen bis zu sieben Zentimeter im Durchmesser.

Im Kräutergarten in Benkel stehen zwei inzwischen über zwei Meter hohe, ausladende Exemplare der Lorbeerblättrigen Zisterose (Cistus laurifolius) mit dunkelgrünen, ledrigen und klebrigen Blättern. Sie scheiden ein Harz aus, das für die Parfümherstellung begehrte Ladanum. Früher wurde es gewonnen, indem die Hirten ihre Ziegen durch den Zistrosenbestand trieben, danach das Fell schoren und die mit Ladanum verklebten Haare auskochten.
Etwa ab Anfang Juni öffnen sich auf den dominanten Sträuchern in Benkel jeden Tag die großen, schneeweißen Blüten neu, manchmal weit über hundert zugleich, und dies über mehrere Wochen. Es ist ein faszinierendes Schauspiel, und wenn dann am Nachmittag die Blütenblätter fallen, liegt eine Fülle keilförmiger, nicht schmelzender, riesiger Schneeflocken um die Füße der Büsche.

Die bestäubten Blüten bilden Fruchtkapseln aus, deren jede viele nüsschenartige Samen enthält. Im Benkeler Garten keimen im Schotter des Mittelmeerteils jedes Jahr zahlreiche Lorbeerblättrige Zistrosen, ich topfe immer Dutzende und Aberdutzende.

Die Lorbeerblättrige galt lange als die einzige Zistrose, die bei uns im Freien auch den Winter überdauert. Es kann geschehen, dass bei strengem Barforst ganze Äste erfrieren, aber bei mir haben sich die immer üppiger wachsenden Sträucher nun fast fünfzehn Jahre ohne jeden ernstlichen Schaden gehalten. Dazu hat sicher der extrem magere, durchlässige Boden beigetragen, in dem es keine Staunässe gibt und der sich bei Sonnenschein stark erwärmt.

Seit Jahren stehen nun auch mehrere Exemplare einer zweiten Zistrose im Benkeler Garten. Sie haben eine besondere Geschichte: Es sind sämtlich Abkömmlige einer einzigen Mutter, durch Stecklinge vermehrt. Diese einzigartige Mutterpflanze wuchs eines Tages aus einer Fuge im Terrassenpflaster vor dem Haus. Erst hielt ich sie für einen aparten Salbei – graugrüne, spatelförmige und manchmal am Rand leicht gewellte Blätter. Bald musste ich mich korrigieren: es war eine Zistrose, die sich ihren beengten Standort selbst gesucht hatte. Ich ließ sie wachsen und stellte erstaunt fest, dass sie jeden Winter ohne irgendeinen Schutz überstand. Ihre großen, schon ins Bläuliche gehenden Blüten kannte ich von keiner anderen Art, sie erinnern von Ferne an die viel kleinere Kretische Zistrose (C. creticus) und an die Hybride C. x incanus.

Mir war klar, dass der kleine Busch sich, je weiter er heranwuchs, in der schmalen Fuge nicht lange würde halten können. Also schnitt ich Stecklinge und zog weitere Exemplare der namenlosen Schönheit heran. Im vierten Jahr verdorrte denn auch die Mutterpflanze, aber ich hatte ja vorgesorgt. Die Variante ist eine Zufallskreuzung – denn bei mir standen mehrere verschiedene Zistrosen auf der Terrasse. Sie ist steril – und winterhart! Im Benkeler Garten sind von den schon relativ großen Büschen, die ich ausgepflanzt hatte, vor zwei Jahren bei scharfem Barfrost im März fast alle Äste erfroren, aber einige am Boden liegende Zweige haben überlebt. Aus ihnen trieben neue Büsche heraus, die schon wieder zahlreiche Blüten tragen.

Einige Exemplare der Seltenheit, die eben nur bei mir zu haben war, habe ich verschenkt. Zwei davon hat Dieter Gaißmayer bekommen, und inzwischen gehört diese Zistrose zum Sortiment der Gärtnerei. Diese singuläre Sorte musste natürlich einen Namen erhalten. Lange habe ich überlegt, schließlich war ich mir sicher: Die Schöne sollte 'Belle de Jour' heißen, weil doch jede der vielen Blüten immer nur einen Tag zu erleben ist. Der Titel von Bunuels berühmtem Film, den ich als Student angesehen hatte, passt – so finde ich – zu dieser einzigartigen Pflanzenschönheit.

Ein weiteres Exemplar schenkte ich vor drei Jahren einem guten Freund, dessen Haus im Wendland am südwestlichen Abhang eines Höhenzugs nahe der Elbe liegt. Vor einigen Wochen habe ich ihn, nach der langen Corona-Pause, wieder besucht. Gleich nach der Begrüßung führte er mich auf die fast schwebende Holzbalustrade, die sich auf der Südseite am umgebauten alten Haus entlangzieht, und zeigte in den terrassierten, steil abfallenden Garten: »Sieh Dir Deine Zistrose an!« Da stand 'Belle de Jour', über 1, 50 Meter hoch und breit, makellos dicht belaubt und mit zahllosen Blüten prangend. Ich war völlig perplex, das hatte ich nicht erwartet: eine Zistrose in Norddeutschland, wie sie üppiger und schöner nicht in Spanien oder Griechenland wachsen kann! Ich verstand aber sofort, weshalb der Strauch innerhalb von drei Jahren, allen Wintern zum Trotz, zu einem so imposanten, bezaubernden Strauch werden konnte: Südlage an einem ziemlich steilen Hang, magerer Boden, Schutz vom nördlich gelegenen Haus und von der hohen Baum- und Strauchvegetation an der Ostseite: ideale Bedingungen für die Tochter von Zugewanderten.

Für mich ist es keine Frage: Zistrosen werden zu den Gewinnern des Klimawandels hierzulande zählen. Steigende Temperaturen, Trockenheit, kurze, zumeist milde Winter kommen ihnen – am richtigen Standort und im richtigen Boden – entgegen. Dann werden vielleicht auch Arten und gezüchtete Sorten, die jetzt noch ins Winterquartier geholt werden müssen, im Freien ausdauern, etwa die attraktive C.x purpureus oder die zierliche C. x scanbergii oder die kleinblütige C. x incanus var. tauricus oder die bestechende weiße C.x stenophyllus. Manche Gärtnereien bieten inzwischen ein ganzes Cistus-Sortiment an. Mir kann es nur recht sein – auch dieses Jahr habe ich wieder einige für mich neue Arten bzw. Sorten erstanden. Ich träume schon von einer kleinen Cistus-Macchia in meinem nächsten Garten....

Ludwig Fischer
Garten und Literatur Bis Ende 2017 berichtete Ludwig Fischer aus seinem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen, von dem er Abschied nahm, um sich von nun an stärker aufs Schreiben zu konzentrieren.
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Text und Fotos: Ludwig Fischer