Ein Großgärtner des 19. Jahrhunderts

Ein Beitrag von

Wir leben in einer Zeit, die es Seiteneinsteigern und Autodidakten nicht gerade leicht macht. Diplome, Doktorexamen oder mindestens die Meisterprüfung werden erwartet. „Da kann ja jeder kommen und was werden wollen!“ Doch es kommen und es kamen Menschen, die sich über all diese Schranken mit starkem Willen hinwegsetzen.

Eine geradezu aufregende Karriere vollzog sich in Belgien, im 19. Jahrhundert. Ein junger Mann, Louis van Houtte, aus betuchter Familie studiert in Paris auf einer Handelsschule, wird später Bankangestellter, schließlich sogar Beamter am Finanzministerium in Brüssel. Doch was macht er in seiner Freizeit? Er setzt fort, was ihn schon als Kind begeistert hatte. Damals besaß er ein Beet im elterlichen Garten, auf dem er Blumen zog und liebevoll pflegte. Als Student und Angestellter wurde er zum ständigen Gast Botanischer Gärten, von Parks, oder er ging in die freie Natur, um zu botanisieren. Im Brüsseler Ministerium schließlich hielt er den Zwiespalt zwischen seiner Beamtentätigkeit und seiner botanischen Leidenschaft nicht mehr aus. Er bat um unbefristete Beurlaubung, die auch gewährt wurde, vielleicht, weil der junge Mann nicht immer mit seinen Gedanken bei der Sache war.

Sofort nach der einvernehmlichen Entlassung setzte er seine Pflanzen-Studien nun mit ganzer Energie fort, nahm Kontakt zu führenden Botanikern auf, die ihn nicht verlachten, sondern seinen schriftlichen Arbeiten Anerkennung zollten. Und dann, schon im Jahr seiner Beurlaubung, gründete er zusammen mit einem Botaniker eine Monatszeitschrift. Sie hieß „L'Horticulteur Belge“ und wurde die erste Zeitschrift, die sich mit dem belgischen Gartenbau befasste.

Aber schon 1834 trieb ihn wieder die Unruhe, er bekam Reisefieber, wollte in Brasilien Pflanzen sammeln. Wie organisiert man solch ein Unternehmen? Van Houtte suchte sich einen Auftraggeber und Sponsor. Und da ihm zwei Sponsoren sicherer waren, überzeugte er den König, Leopold I., von der Wichtigkeit seiner Brasilien-Unternehmung. 1834 bis 1836 erkundete er die tropische Pflanzenwelt in Brasilien, Guatemala und Honduras, sammelte mit Erfolg Samen und Pflanzen. Mehrere Kisten mit seiner reichen Ausbeute schickte er an den Botanischen Garten von Brüssel. Und nun folgt eine Episode in van Houttes Leben, auf die er rückblickend sicher gern verzichtet hätte. Zurückgekehrt findet er in Brüssel seine Brasilienkisten unausgepackt in einer Abstellkammer. Und es folgt eine weiterer Negativ-Erfahrung: Er wird zum Direktor des Botanischen Gartens ernannt. Große Aufgaben warteten auf van Houtte: Der Garten war verkommen und vernachlässigt. All seine Bemühungen, den Garten wieder wissenschaftlich nutzbar und für Gäste anschaubar zu machen, stießen bei den Besitzern (Der Botanischer Garten war eine Aktiengesellschaft!) auf Ablehnung. Nach zwei Jahren warf van Houtte das Handtuch.

Wieder mit Hilfe von Sponsoren und Teilhabern gründete er nun eine Gärtnerei. 1839 wurde sie in Gent eröffnet. Vermehrt wurden vor allem exotische Pflanzen, mitgebrachte aus Brasilien, aber viele auch von reisenden Botanikern, die er beauftragt hatte, in Südamerika, der Karibik und Afrika zu sammeln. Aber er züchtete auch, befasste sich mit Gladiolen aus Südafrika und Pantoffelblumen aus Südamerika. Sein hoch entwickelter Geschäftssinn und seine Sprachbegabung führten schnell zu wirtschaftlichem Erfolg. Um seine Kataloge, die auch immer gleich Anbauanleitungen enthielten, rissen sich Liebhaber und Fachleute. Bald wurde seine Gärtnerei zum Anziehungspunkt für Junggärtner aus ganz Europa. Wir wissen, dass der Staudenzüchter Wilhelm Pfitzer (1821-1905) in Gent neue Erfahrungen machte. Genauso Victor Lemoine (1823-1911), der Schöpfer vieler Päonien- und Fliedersorten. Auch Max Leichtlin (1831-1910), der große badische Botaniker und Sammler vor allem von Zwiebelgewächsen, hatte engen Kontakt zur Gärtnerei Louis van Houtte.

Vielleicht veranlassten die vielen Praktikanten, Gehilfen und Lehrlinge van Houtte, nun auch noch eine Lehranstalt für Gärtner zu gründen. Sie wurde 1849 eröffnet und später dem Botanischen Garten in Gent zugeordnet.

Van Houtte war ein besonderes Talent. Hochbegabt und geschäftstüchtig, hätten sich dennoch viele seiner Wunschträume nicht erfüllen lassen, wenn er nicht wohlhabende und einflussreiche Menschen gewonnen hätte. Und dies gelang ihm, weil er ganz offenbar sehr souverän aber liebenswürdig auftrat und verhandelte.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
Mehr lesen

Text und Fotos: Christian Seiffert