Es grünt so grün 2

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Hier im Norden herrschen immer noch niedrige Temperaturen vor, und wenn einmal ein Schwall Mittelmeerluft die norddeutsche Tiefebene erreicht, dann fährt gleich wieder ein atlantisches Tiefdruckgebiet dazwischen - vorgestern, mitten in den Eisheiligen, am Vormittag fast sommerlich warm, und schon in den frühen Abendstunden nur noch knapp über zehn Grad.

Dazu weht oft tagelang ein scharfer Wind, die raschen Wetterwechsel werden mit starken Luftströmungen herantransportiert. Den Pflanzen macht diese zu kalte, zu trockene, zu windige Witterung sehr zu schaffen. Viele Stauden sind im Vergleich zum Vorjahr sozusagen stecken geblieben - die Schwertlilien knapp halb so hoch wie sonst, und trotzdem werden die ersten Blüten sich bald an den kurzen Stielen öffnen. Der Waldmeister blüht schon, aber auch er ist beinahe ein Zwerg. Bei anderen Kräuterstauden hat man den Eindruck, dass sie das Wachsen erst einmal eingestellt haben. Der Rosenaustrieb kommt kaum voran, noch immer sind die meisten Blätter nicht voll entfaltet.

Das zögerliche Wachstum hat mich in den letzten sechs Wochen besonders aufmerksam den Austrieb und die langsame Entfaltung der Blätter beobachten lassen. Länger als sonst konnte ich verfolgen, wie der Kanadische Haselwurz (Asarum canadense) die zusammengefalteten Jungblätter aus dem Boden schob - sie sahen über viele Tage hin wie durchscheinende, grüne Schmetterlinge aus. Der Verwandte des einheimischen Haselwurz (Asarum europaeum) breitet sich sehr langsam zu einem dichten Teppich von frisch grünen, handtellergroßen Blättern aus - demnächst ist über ihn zu schreiben, wenn ich mir ungewöhnliche Bodendecker vornehme. Die Pflanze wird auch Kanadischer Ingwer genannt, weil die Rhizome kandiert und als Ingwer-Ersatz verwendet wurden. Auch der kanadische Haselwurz enthält, wie der europäische, einige giftige Substanzen, deshalb ist auch bei der medizinischen Verwendung Vorsicht geoten. Bei einigen nordamerikanischen Indianervölkern wurde die Pflanze zur Abtreibung benutzt.

Ähnlich apart erscheint der Austrieb des Medizinalrhabarbers (Rheum officinale) im 'Apothekerschach' des Schaugartens. Es zeigen sich zunächst grüne, wie zerknautscht aussehende Blattknäuel. Sie erinnern an die dicke, gefältelte Haut eines Panzernashorns, haben jedenfalls etwas ganz Animalisches an sich. Erst wenn sie weiter hervorwachsen, glätten sie sich allmählich zu großen, tiefgrünen, länglich gerundeten Blatttellern. Die zarten, hohen Blütenstände aus unzähligen kleinen, weißen Einzelblüten sind im Sommer sehr zierend. Ebenfalls aus China stammt die riesige Solitarstaude des Kron-Rhabarbers (Rheum palmatum) mit tief geschlitzten Blättern. Beide Rhabarber-Arten sind von den Speise-Rhabarbern zu unterscheiden, sie wurden schon im Alten China als Abführmittel eingesetzt. Dafür verwendet man die Wurzelstöcke - die Blätter und Stiele sind leicht giftig.

Und noch eine Pflanze mit sehr eigenwilligen Austrieb will ich erwähnen: den Meerkohl (Crambe maritima). Im Frühjahr sieht man zunächst nur die verholzten Strünke, die knapp aus dem Boden heraus ragen. Man könnte denken, die Staude sei tot. Dann aber erscheint an der Spitze der dicken, von harter Rinde umgebenen Strünke ein dunkel-violettes Gekräusel, das sich ganz allmählich weiter herausschiebt und nach und nach die Gestalt von eng zusammengefältelten Blättern an kurzen Stielen annimmt. Später breiten sich diese Baby-Blätter zu großen, blaugrünen, am Rand gekräuselten Kohlblättern aus.

Der Meerkohl kommt an unseren Küsten vor und mag eher sandige, aber feuchte Böden. Die Staude kann am zusagenden Standort einen beträchtlichen Umfang erreichen und macht sich auch im Ziergarten gut. Deckt man die Pflanze während des Austriebs ab, kann man die jungen Blätter und vor allem die Stiele als schmackhaftes Gemüse ernten.

Pflanzen wie dem Meerkohl, dem Medizinalrhabarber oder dem Kanadischen Ingwer beim Austrieb zuzuschauen, fasziniert ebenso sehr wie eine attraktive Blüte. Da hat die Verzögerung, die dieses Frühjahr bringt, auch ihr Bereicherndes.

Ludwig Fischer
Garten und Literatur Bis Ende 2017 berichtete Ludwig Fischer aus seinem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen, von dem er Abschied nahm, um sich von nun an stärker aufs Schreiben zu konzentrieren.
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Text und Fotos: Ludwig Fischer