Große Bühne für kleine Blüten: Dolden und Scheindolden

Text: Michael Schwerdtfeger
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer | Heracleum sphondylium & Achillea millefolium: Michael Schwerdtfeger | Digitalis purpurea: Gerlinde Sachs

Doldenblütler sind leicht zu erkennen, oder? Von wegen! Den morphologischen Begriff der Dolde vergeben wir gestrengen Botaniker nämlich nur dann, wenn alle Strahlen des Blütenstandes exakt von einem Punkt ausgehen wie bei Agapanthus oder der Gattung Lauch (Allium). Und bei der Pflanzenfamilie der Doldenblütler (Apiaceae) setzt sich sogar jeder Doldenstrahl nochmals in einer kleineren Dolde, einem »Döldchen« fort. An dieser »Doppeldolde« erkennen wir die echten Doldenblütler – Ausnahmen bestätigen freilich die Regel wie beim Goldteller (Haquetia) oder beim Manntreu (Eryngium), der ja ohne Weiteres als Korbblütler durchgehen würde!

 

Aber das Prinzip, zahllose sehr kleine Blüten zu einem schirmförmigen Blütenstand zu vereinen, findet sich bei vielen Pflanzenfamilien. Es führen eben bei Mutter Natur immer mehrere Wege zum Ziel: die extravagante, exklusiv an bestimmte Bestäuber angepasste Einzelblüte wie bei Iris, Fingerhut oder Orchidee, aber auch das genaue Gegenteil: die Massenansammlung winziger Blüten mit für jedermann zugänglichem Nektar und Pollen, wo sich eine bunte Gesellschaft dahergeflogener Insekten verköstigen kann – selbst solcher Gruppen, die im sonstigen Leben keine hauptberuflichen Blütenbesucher sind. Das Resultat ist, von oben betrachtet, immer der schirmförmige, helle, allenfalls cremefarbene, gelbliche oder grünliche Blütenstand, doch haben die echten Doldenblütler viele »Doppelgänger« – deren Blütenstände man aber anhand der reichen, rispenartigen Verzweigung leicht als »Schirmrispe« oder »Scheindolde« entlarven kann. Betrachten Sie doch mit solcherart geschultem Auge einmal Mädesüß, Baldrian, Rainfarn, Eberesche und Holunder ...

 

Sogar bei den Korbblütlern gibt es solche, die viele kleine Köpfchen zu doldenförmigen Gesamtblütenständen arrangieren; am eindrucksvollsten bei der Schafgarbe (Achillea), die immer wieder für einen Doldenblütler gehalten wird. Von unserer Gewöhnlichen Schafgarbe (Achillea millefolium) treten in der Natur immer wieder auch rosablühende Formen auf. Gärtnerische Leidenschaft hat diese rötlichen Formen mit der südeuropäischen Achillea clypeolata und der vorderasiatischen Achillea filipendulina vermählt und daraus viele schöne Sorten geschaffen.

Hummeln, Schmetterlinge und andere anspruchsvolle Blütengäste kommen an den winzigen Blüten der Dolden kaum auf ihre Kosten und überlassen diese ökologische Nische kleinen Wildbienen, Grabwespen, den verschiedenen Gruppen von Fliegen oder Käfern. Schauen Sie doch einmal, wie viele unterschiedliche Insektengruppen Sie auf den Blütenschirmen entdecken!

Michael Schwerdtfeger
Vollblutbiologe Dr. Michael Schwerdtfeger, geboren 1964 im plattdeutschen Flachland zwischen Weser und Lüneburger Heide, träumte er von Sielmann und Grzimek, von Abenteuern mit Pflanzen und Tieren in fremden Ländern.
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Text: Michael Schwerdtfeger
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer | Heracleum sphondylium & Achillea millefolium: Michael Schwerdtfeger | Digitalis purpurea: Gerlinde Sachs