Lichter Schatten 2

Text: Ludwig Fischer
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer

Jetzt, Mitte Mai, ist das Blätterdach über den halbschattigen Partien des Kräutergartens schon fast geschlossen. Früh morgens, bis in den Vormittag hinein, fingert aber die flacher stehende Sonne noch in den Blättern und Blüten der Stauden, die zeitig im Jahr austreiben und blühen – die Standorte ähneln dem Waldrand, und so habe ich auch viele Wildpflanzen in die ab Mittag beschatteten Beete gesetzt. Die meisten dieser Kräuter gehören zu den verkannten Schönheiten, weil sie nicht mit knallbunten, spektakulär großen Blüten aufwarten. Man muss näher hinschauen, um wahrzunehmen, welche faszinierenden Formen und Farbspiele geboten werden.
Zu diesen nur auf den ersten Blick eher unscheinbaren Halbschattenkräutern gehören die Platterbsen, darunter die rankende Staudenwicke (Lathyrus latifolius) in verschiedenfarbigen Sorten – rot, rosa, weiß. Mir hat es besonders die rot- bis blauviolette, sehr früh blühende Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus) angetan: zartgrüne, paarig angeordnete Fiederblätter und filigrane Lippenblüten, die wahrhaftig als kleine Kunstwerke gelten können.

Zu den früh und kurz erscheinenden, aber sehr reizvollen Schattenpflanzen zählt auch der Waldmohn (Hylomecon japonicum) – mit schlicht gebauten, dennoch fast geheimnisvollen, gelben Blüten über frisch grünen, entfernt dem Giersch ähnelnden Blättern. Jedes Jahr warte ich darauf, dass der Waldmohn für knappe zwei Wochen seinen leuchtenden Akzent im Halbschattenbeet setzt. Wenn er verblüht ist, zieht die Pflanze bald ein – die großblütigen Frühsommer- und Herbstanemonen (Anemone sylvestris, A. japonica) und der über Monate hin immer neue Blüten treibende Schein-Waldmohn (Meconopsis cambrica) übernehmen sozusagen den Platz.
Wenn man über die Kräuter im lichten Schatten spricht, muss man wenigstens einige der wunderbaren Bodendecker erwähnen, die sich darunter finden – eben abgesehen von den Dutzenden der Strochschnabel-Sorten (Geranium) oder auch von Waldmeister (Galium odoratum) und den vielen Veilchen-Varianten.

Eine geschlossene Blätterdecke bildet der Kriechende oder Kaukasus-Beinwell (Symphytum grandiflorum), der sich über oberirdische Ausläufer stark ausbreiten kann und sich deshalb zur Unterpflanzung auch an schwierigen Stellen, z. B. unter locker wachsenden Hecken eignet. Im April und Mai, manchmal bis in den Juni, trägt dieser niedrige, vergleichsweise kleinblättrige Beinwell immer neue, glockenförmige, weiße Blüten, die ein wenig an Salomonssiegel erinnern. Da der Kriechende Beinwell keine so tief reichenden, fleischige Wurzeln bildet wie der großblättrige, hohe, rosa bis violett blühende Arznei-Beinwell (Symphytum officinale), wird er weniger als Heilkraut genutzt, obwohl man die Blätter auch für Tees und Tinkturen verwenden kann.
Sehr schöne Bodendecker kommen aus der Familie der Frauenmantel-Stauden, von denen es immerhin an die 250 Arten gibt. Im Schattengarten macht sich der Großblättrige Frauenmantel (Alchemilla mollis) besonders gut – die gelblichen Blüten sind eher unscheinbar, aber die ziemlich großen, gelappten Blätter fallen auch deshalb auf, weil fast immer viele Wassertropfen auf ihnen stehen – Frauenmantel kann auf der Blattoberfläche Wasser in Tropfenform speichern. Kleiner und weniger stark versamend gibt sich der Zierliche Frauenmantel (A. epipsila), und eine aparte, feingliedrige, fast fingerblättrige Art ist A. erythropoda. Verschiedene Arten gehören zu den uralten Heilkräutern für Frauenleiden.

Über die faszinierenden, verschiedenen Elfenblumen, von denen einige auch als Heilkräuter Verwendung finden, will ich einmal eine eigene Gartennotiz schreiben. Hier erwähne ich nur noch die Kreuzung Epimedium x cantabrigense, die ein wunderschönes, rötliches Winterlaub hat und einen sehr reizvollen, zarten Austrieb, dabei aber extrem winterhart und schier unverwüstlich ist.

Ludwig Fischer
Garten und Literatur Bis Ende 2017 berichtete Ludwig Fischer aus seinem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen, von dem er Abschied nahm, um sich von nun an stärker aufs Schreiben zu konzentrieren.
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Text: Ludwig Fischer
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer