Meine Frau, die Gärtnerin

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Ein Lieblingsbuch meiner Eltern

Heute sagt man Kultbuch dazu, wenn ein Buch immer wieder gelesen wird, immer wieder empfohlen und weitergereicht wird. Solch ein Kultbuch lasen meine Eltern in den dreißiger Jahren. Es war kein Buch von hohem literarischen Anspruch, nicht von einem begnadeten Dichter geschrieben, aber es traf Gartenfreunde dieser Zeit mitten ins Herz. Es hieß „Meine Frau, die Gärtnerin“. Der Autor des ersten Teiles war Max Mezger, ein Bayer, genauer ein Schwabe, ein gebürtiger Friedberger. Den zweiten Teil des Buches schrieb seine dänische Frau Gerda Mezger, geborene Johansen. Der Inhalt des Buches spielt in Potsdam, und nun kommt der eigentliche Knalleffekt: in Potsdam-Bornim. Das sagt Ihnen nichts? Sie kommen schon noch dahinter. Richtig, da hatte Karl Foerster seine berühmte Staudengärtnerei. Namentlich nicht ausdrücklich erwähnt, spielt Karl Foerster in diesem Buch mit, als Nachbar gewissermaßen. Und so fängt das Buch an:

„Glockenblumen“, sagte ich unwillkürlich laut in das sommerlich schwüle Abteil des Zuges hinein, der mich nach zwanzigjährigem Tropenleben, wovon die letzten vier Kriegsjahre hinter Stacheldraht verlaufen waren, in die Heimat führte. „Og Spiräer!“ (Und Spiräen) sagte eine Stimme halblinks hinter mir, von der ich, ohne mich umzuwenden, wußte, daß sie nur der kleinen dänischen Malerin gehören könne, die, mit Klappstaffelei, Malstuhl und Skizzenblock beschwert, beim Einsteigen in Warnemünde meine flüchtige Hilfe mit „Mange Tag“ quittiert hatte.
Ich erinnerte mich nicht, je vorher in Gegenwart fremder Menschen laute Selbstgespräche geführt zu haben; aber die plötzliche Erkenntnis, daß ich zwanzig Jahre lang keine Glockenblumen gesehen hatte, wie sie mir jetzt vom Bahndamm aus zunickten, und das Staunen darüber, daß es trotz allem, was inzwischen in der Welt geschehen war, noch Glockenblumen geben könne, war stärker, als meine Fähigkeit, mich über mich selbst oder über irgend etwas anderes zu wundern, was an diesem Reisetag geschah.
Und es geschah folgendes: Im Verlauf einer Viertelstunde hatten Gerda Johansen (.....) und ich gewissenhaft sämtliche Blütengewächse durchgesprochen, die mitteleuropäische und skandinavische Bahndämme zu schmücken pflegen. Das Gespräch vollzog sich in der knappen Form eines Kartenspiels: Fräulein Johansen reizte mit Klatschmohn, ich übertraf mit Rittersporn, worauf sie mit Königskerze trumpfte und den Stich einheimste. Wieviel Zeit wir den Wiesen-, Feld- und Waldblumen widmeten, ehe wir uns in der Unendlichkeit des Gartenparadieses verliefen, ist mir nicht erinnerlich. Ich weiß nur, daß ich dabei so froh wurde, wie ich es seit langem nicht mehr gewesen war.

Der schwäbische Kaufmann und Schriftsteller und die dänische Malerin fanden während dieser Reise so viel Gefallen aneinander, dass sie 1920 heirateten, und mit den Resten eines Vermögens in Potsdam-Bornim ein Grundstück mit Haus kauften, reinen märkischen Sand, der etwa auf halber Strecke zwischen Schwaben und Dänemark liegt. Warum die Wahl auf dieses ganz bestimmte Grundstück fiel, das hört sich so an:

„Eberesche, Geisblatt, Rotdorn, Weißdorn, Holunder, und zwar Sambucus canadensis, Sanddorn, Feuerdorn, Wildrosen und Hainbuche.“
„Na und? - Hast du die Inhaltsangabe eines Gehölzbuches auswendig gelernt?“
„O du blinder Bayer - siehst du denn nicht, daß alles, was ich genannt habe, in unserem Zaun wächst?“
„In unserem? Seit wann unserem? Und wie kannst du in diesem Gestrüpp, das keine Blätter mehr und kaum noch Beeren trägt, so viel verschiedene Gewächse erkennen?“
„Ja siehst du, Lieber, wenn bei uns in dem flachen, stürmischen Inselreich einer Besitz vom Land ergreift, um sich eine neue Heimstätte zu gründen, dann pflanzt er vor allem anderen gegen die Windseite hin eine solche Hecke, mit den selben Büschen und Bäumen wie hier. (.....) Es dauert oft lange, bis so ein Heckenwindschutz wirksam wird, aber wenn die Vögel anfangen, sich in ihm wohlzufühlen, dann kann auch der Mensch dahinter nisten. Hinter dieser Hecke, die schon hoch und dicht und noch im Herbst voll Vogelleben, werde ich mich niemals fremd fühlen.“

Es entstand also der Garten der Mezgers, und dass er besonders sehenswert wurde, dafür sorgte Gerda Mezger, die Malerin aus Dänemark - und eine äußerst fruchtbare Nachbarschaft zur Gärtnerei Karl Foersters.

Liebhaber schaffen sei so wichtig, wie Pflanzen verkaufen, dachte großzügig der Inhaber der weltberühmten Gärtnerei, dem nichts Pflanzliches fremd war. Aber da er nicht nur ein Züchter, sondern auch ein Dichter war, gab es ebensowenig Menschliches, das ihm fremd geblieben wäre, und so unterschied er auch unter seinen Nachbarn die echten von den falschen Liebhabern: die echten klauen alle! So ging er denn, damit wir nicht in Versuchung kommen sollten, selbst mit uns klauen in seiner eigenen Gärtnerei; und diese angewandte Ethik erwies sich doppelt fruchtbar. Unser Garten hielt Schritt im Laufe der Jahre mit der wunderbaren Entwicklung der Gärtnerei, und die Gärtnerei gewann eine Reihe zahlungsfähiger Kunden, die der Ansicht waren, daß, wenn schon bei so bescheidenen Leuten wie bei uns, die epochemachendsten Neuheiten blühten, es höchste Zeit für sie sei, einen neuen Bestellzettel für die weltberühmte Staudengärtnerei auszufüllen.

Vom langen Tropenaufenthalt krank, wird Max Mezger von Freunden in einen bayerischen Kurort gebracht, wo ihn, wie er schrieb, die Heilstrahlen seiner engeren Heimat erwarteten. Es wurde ein vorübergehender Abschied von Gerda und ein endgültiger von diesem Buch, das nun Gerda für ihn zu Ende schrieb. Und sie machte es gut. Statt allgemeiner Gartenphilosophie folgen nun auf einmal handfestere Episoden und sogar gute Ratschläge für Gartenfreunde, wie zum Beispiel der Umgang mit winterharten Fuchsien.

Diese Arbeit ist nun allerdings nicht besonders schwierig. Um genügend widerstandsfähige Pflanzen - vielleicht auch um eine freundliche Erinnerung an Dänemark - zu erhalten, schrieb ich einer Freundin: „Sende mir einige Stecklinge von Eurer wunderbaren Fuchsienhecke und sage dem Gärtner, daß er die kräftigsten Zweige abschneiden soll, wenn der Frost bereits die Blätter zerstört hat. Sie müssen 20 bis 30 cm lang sein. Er soll sie dann mit einem Bindfaden zusammenschnüren und mir senden.“
Sie kamen umgehend, aber meine Freundin schrieb: Der Gärtner war empört. Er fand, die Behandlung wäre doch ein bißchen zu grob!“ Aber bei mir erhielten sie eine noch gröbere. Das ganze Bündel wurde nämlich vergraben und mit Laub zugedeckt. Im nächsten Frühling holte ich sie wieder hervor und steckte jede einzelne Pflanze in derselben Weise in die Erde, wie man es mit Johannisbeeren macht: sie müssen so tief hineingesetzt werde, daß nur eine Knospe hervorguckt. Im nächsten Jahr kann man sie dann als Hecke mit 30 bis 50 cm gegenseitigen Abstand pflanzen. Die Fuchsie ist eine recht gefräßige Pflanze und fordert einen geräumigen Platz in der Sonne, um wachsen zu können. Man wird aber auch reich belohnt, denn solche Zäune werden einen guten Meter hoch und fast anderthalb breit und prangen dabei in einer Überfülle von Blumen von Anfang Juli bis zum Eintreten des Frostes. Dann schneidet man den Strauch bis zu einer Höhe von wenigen Zentimetern über dem Boden ab und deckt den spärlichen Rest während der kalten Jahreszeit mit Blättern und Dung sorgfältig zu. Unter den abgeschnittenen Zweigen sucht man sich wiederum Stecklinge aus, wenn man weitere Pflanzen haben will.

Der Leser weiß, dass es sich um Sorten der Fuchsia magellanica und zwar die Sorten „Gracilis“ und „Riccartonii“ handelt. Von ihnen heißt es, dass sie im Nordwesten Deutschlands sogar ohne Winterschutz auskommen. Das ist im klimatisch härteren Brandenburg und in Bayern natürlich anders.
In Dänemark gelingen, aus welchen Gründen auch immer, die Stockrosen, die Stockmalven besonders schön. Kein Wunder, dass auch die von Gerda Mezger vorbildlich aussahen:

Meine Malven waren ganz besonders schön. Viele Freunde haben Samen von ihnen bekommen, unter anderem auch die Nachbargärtnerei. Es gelang mir, sie lange vom Rostpilz freizuhalten, der die Schönheit einer Pflanze vollkommen vernichtet, wenn er die Oberhand bekommt. (.....) Die dänischen Gärtner behaupten, daß, obgleich die Malve mehrjährig ist, man sie dennoch als Zweijährige ziehen soll, also genau wie Königskerzen und Fingerhut, wenn man besonders große und schöne Blüten erzielen will. (....) Habe ich eine ganz besonders schöne, teile ich sie als Zweijährige und nehmen Stecklinge davon.

Die Mezgers bekommen eine Tochter, die den schönen dänischen Namen Merete erhält. Auch sie entpuppt sich als kleine Gärtnerin.

Ja, die Sache mit der „Himmelsleiter“ war so. Einer von unseren großen Ritterspornen hatte Samen ausgesät, und einer dieser Sämlinge war so groß, und hoch geworden, daß Merete und ich fürchteten, er würde in den Himmel hineinwachsen, deshalb bekam er seinen Namen „Himmelsleiter“. Kein anderer Rittersporn in unserem Garten hat ihn je an Höhe übertroffen. „Ich glaube, unser Nachbargärtner hat dir den Namen gestohlen“, sagte ich, „er fand ihn so ausgezeichnet, daß er ganz neidisch war. Das hat er mir damals gesagt. Und da du deinen Rittersporn doch nicht weitergezüchtet hast, dachte er wohl, der Name wäre wieder frei.“
„Das ist frech“, rief Merete, „dafür muß er mir etwas geben! Pflanzen für meinen Steingarten. Komm, wir gehen gleich klauen bei ihm.“
Und wir gingen „klauen“.
Gleich als wir in die Gärtnerei herüberkamen, sahen wir unseren berühmten Freund. Dort stand er in seinem hellen Anzug mitten zwischen seinem berühmten Rittersporn, mit einem Spaten in der Hand. Die Ritterspornpflanzen waren allerdings nicht mehr so hoch wie im Sommer, wo sie ihn manchmal überragten, denn sie zeigten teilweise die zweite Blüte, teilweise waren es Sämlinge.
Mit einem Feldherrenblick schaute er über sein blaues Blumenmeer, und in seinem hellen Anzug sah er selber aus wie eine Riesenblume in all dem Blau.
„Du“, flüsterte ich Merete zu, „um uns zu rächen, geben wir ihm auch gleich einen Blumennamen. Es gibt doch schon eine „Jungfer im Grünen“, wollen wir ihn „Knabe im Blauen“ nennen?“ „Pscht“, flüsterte Merete zurück, „daß er uns nicht hört!“
Doch er hatte uns schon gehört. Er lachte, steckte seinen Spaten in die Erde und kam uns entgegen, um uns zu begrüßen. (.......)
„Der Name ist sehr schön und schmeichelhaft für mich, doch ich will ihn lieber gleich auf meine neueste Züchtung übergehen lassen.“
„Der Name ist auch schmeichelhaft aufzufassen. Übrigens sollte er eine Rache sein, weil Sie uns schon die „Himmelsleiter“ gestohlen haben. Wir kommen nun zum Klauen zu Ihnen.“
„Das ist fein, ich gehe gleich mitklauen.“
Und nun gehen wir drei miteinander klauen und gelangen dabei in den siebten Himmel! Die „Himmelsleiter“ hat uns hineingeführt. Zuerst klauen wir von all den kleinen Töpfen, die Merete liebt, weil die Töpfe so klein und die Blümchen so süß sind und weil sie etwas für ihren Steingarten haben will. Und ich bekomme so viele kleine Glockenblumen, wie ich haben will, denn diese kleinen blauen Blumen liebe ich über alles.
Und wir klauen Aubretien und Steinbrech und Ginster und Nachtkerzen und ich weiß nicht, was noch alles. Es sind schon mehrere Kisten vollgeworden, wir können sie schon lange nicht mehr tragen und müssen sie zum späteren Abholen stehen lassen. Aber je mehr wir sehen, desto gieriger werden wir. Und immer wieder sagt der Gärtnersmann: „Da ist noch etwas, was Sie haben müssen“, oder wenn er hört, das habe ich schon, antwortet er, „Davon kann man nicht genug haben.“

Soweit diese wenigen Ausschnitte aus „Meine Frau die Gärtnerin“.
Von Max und Gerda Mezger. Natürlich habe ich herauszufinden versucht, ob es dieses Buch zu kaufen gibt - und ja, tatsächlich sind noch etliche unterschiedliche Ausgaben im Umlauf. Googeln Sie doch mal!

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert