Pflanzenjäger – gibt’s die noch?

Text: Dieter Gaißmayer/Mitarbeit Angelika Traub
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer

Im Jahr 2019 jährt sich der Geburtstag des großen Naturgelehrten und Forschers Alexander von Humboldt zum 250. Mal. Er hinterließ uns einen unschätzbaren Fundus. Dabei ist es heute kaum mehr vorstellbar, welch immenser materieller, personeller und finanzieller Aufwand damals mit Forschungsreisen verbunden war und unter welch schwierigen, einschränkenden Bedingungen botanische Studien stattfanden. Nur nach monatelangen, hochriskanten Schiffsreisen konnten die gefährlichen, Jahre dauernden Expeditionen andere Kontinente und meist unzugängliche Gebiete erreichen, sie erforschen und dabei auch bis dahin völlig unbekannte Pflanzenwelten entdecken. Aber welch gigantische botanische Schatztruhe öffnete sich! Immer neue Arten wurden gefunden, katalogisiert, gezeichnet, als Herbarium, Samen, oder, wenn die Monate dauernde Seefahrt ihnen nicht den Garaus machte, lebend nach Europa gebracht.

Es sollte nicht lange dauern, bis das zunächst rein wissenschaftliche Interesse an der unbekannten Pflanzenwelt auch lukrative Geschäfte verhieß und die privilegierte Oberschicht bediente. Die botanischen Schätze weckten dort heftige Begehrlichkeiten. Man wollte unbedingt so viele exotische Kleinode wie irgend möglich besitzen. Pflanzen waren zu Statusobjekten geworden. Unzählige Pflanzenjäger, bezahlt von wohlhabenden Auftraggebern, machten sich auf, die Wünsche ihrer Kunden zu befriedigen – nicht selten bezahlten sie ihren Wagemut mit dem Leben.

So dramatisch und rücksichtslos geht es heutzutage zum Glück nicht mehr zu, abenteuerlich bleibt das Durchstreifen unwegsamer, entlegener Gebiete aber allemal, und botanischer Entdeckergeist ist keineswegs ausgestorben – auch wenn er heute keine egozentrischen, prestigesüchtigen Reichen mehr bedient.

Man könnte sagen, es gehört zu den „guten Seiten" der Globalisierung und der sie erst ermöglichenden internationalen Pflanzenzucht, dass heute ein besserer Zugang auch zu schwer erreichbaren Gegenden der Erde besteht, denn reizvolle botanische Wildarten werden immer noch entdeckt. Die asiatischen Elfenblumen (Epimedium) und die Gattung der Lerchensporne (Corydalis) sind nur zwei Beispiele dafür, hier werden nach wie vor sehr interessante Arten gefunden, die bisher unbekannt waren und Züchtung und Sortimente bereichern.

Das ist auch unter dem Aspekt des sich dramatisch ändernden Klimas von großem Wert, denn viele über Jahrzehnte rein vegetativ vermehrte Sorten einiger Gattungen (sie sind ja Klone mit den identischen Eigenschaften der Mutterpflanzen) hatten keine Chance, sich an die nun ganz anderen Bedingungen anzupassen, sind deshalb nicht gut gerüstet und leiden unter Stress unterschiedlicher Art. Hinzu kommt ein normaler „Ermüdungseffekt", der nach vielen Jahrzehnten nichtgeschlechtlicher Vermehrung bei Pflanzen häufig zu beobachten ist. Besonders Arten und Sorten mit einer ohnehin geringen Standortamplitude leiden unter den klimatischen Veränderungen. Deshalb sind gerade in diesen Zeiten botanische Entdeckungen hochwillkommen, denn wir gewinnen wertvolles Material für die seriöse, nachhaltige Züchtung neuer, besser angepasster Sorten.

Um es deutlich zu sagen: Ganz etwas anderes ist das in Laboren der schönen neuen CRISPR-Welt mit der Genschere zusammenkomponierte Kreuzungsmaterial - Pflanzen werden nach Gusto „designt", den Erfordernissen industrieller Massenproduktion anpasst und durch In-Vitro-Vermehrung schnell in riesigen Stückzahlen verfügbar. Marktgängige Attraktivität und schneller Abverkauf zur (den Verkauf stimulierenden) Blütezeit ist das Ziel. Kriterien wie Vitalität, Gesundheit und Langlebigkeit spielen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Aber das ist ein anderes Thema, davon ausführlich ein andermal.

Sinnvoll für die seriöse, auf Nachhaltigkeit bedachte Züchtungsarbeit genutzt, macht die moderne „Pflanzenjagd" durchaus Sinn und ist eine gute Chance, mit neuen, besser mit den veränderten Verhältnissen zurechtkommenden Züchtungen die Herausforderungen des Klimawandels anzunehmen.

Dieter Gaißmayer
Dieter Gaißmayer hat 40 Jahre die Geschicke der Staudengärtnerei gelenkt und die Verantwortung zum 1.1. 2020 vertrauensvoll an die junge Generation übergeben. Aber wer ihn kennt, der weiß – Ruhestand ist keine Option! Er freut sich, nun endlich...
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Text: Dieter Gaißmayer/Mitarbeit Angelika Traub
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer