Schneegestöber

Text: Christian Seiffert
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer

Eine Pflanze lässt mich in Verzückung geraten und gleichzeitig in schiere Verzweiflung. Hier im Jamlitzer Sand steht sie, nein sie steht nicht, sie wandert! Und hat jetzt, Ende Oktober, ihr zartes Blütenmeer ausgebreitet. Es handelt sich um eine Aster mit besonderen Eigenschaften: Sie bleibt sehr niedrig am Boden, ihre Stiele sind hölzern fest, sie blüht besonders spät. Kurzum, sie ist eine zauberhafte Staude auch in trockenen Gefilden, selbst wenn sie, wie es in den Katalogen heißt, gern frischen Boden mag. Na, und nun muss ich mit dem Namen herausrücken. Die Pflanze heißt 'Snowflurry', übersetzt also Schneeschauer oder Schneegestöber. Das ist fein beobachtet, englisch klingt es aber lustiger als im Deutschen. Ein frühes Schneetreiben Ende Oktober. So etwas gibt es ja öfter, aber blüht diese Aster, erfreut dies das Herz weit mehr. Die Staudengärtner und Staudenvermarkter haben versucht, dieser Aster neben 'Snowflurry' beschreibende deutsche Bezeichnungen zu geben. Herausgekommen sind: Teppichaster, Steinaster, Myrtenaster, Teppich-Myrtenaster und sogar Septemberkraut. Letztere Bezeichnung klingt, als ob die Aster schon 150 Jahre in deutschen Gärten stünde. Der Name könnte Heinrich Marzells »Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen« entsprungen sein.

Ich habe anfangs von Verzweiflung gesprochen. Das bezieht sich aber nicht auf die Pflanze selbst, sie ist unschuldig wie eine Madonnenlilie – wenn auch behauptet wird, man müsse sie zurückschneiden und ihre Vermehrung durch Samen verhindern (was ich noch nie gemacht habe!). Zur Verzweiflung haben mich all die Menschen gebracht, die versucht haben, dem Kind einen Namen zu geben. 'Snowflurry' ist treffend und hübsch, ist vermutlich der Gärtnerin Beth Chatto spontan über die Zunge gekommen, als sie diese schöne Variante fand. Das kann erst Ende des 20. Jahrhunderts gewesen sein, als sie ihre »unusual Plants« auf den Staudenmarkt brachte. Richard Hansens großes Staudenbuch von 1981 erwähnt diese Aster mit keiner Silbe, er hätte es gewiss getan, wenn er von ihr gewusst hätte.

'Snowflurry' ist aber ein Name und keine botanische Bezeichnung. Und nun versuchen Sie mal, die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung zu finden! Wussten Sie, dass die amerikanischen Astern nicht mehr Astern heißen? Sie unterscheiden sich so sehr von den eurasischen Astern, dass die Taxonomen sich gezwungen sahen, die »Amerikaner« in eine neue Gattung zu stecken. Die nennt sich nun Symphyotrichum. Man stelle sich vor: Symphyotrichum novi belgii oder Symphyotrichum novae angliae! Ein Horror für jeden Staudengärtner. Nun habe ich mal geschaut, unter welchen Namen 'Snowflurry' noch im Internet angepriesen wird. Viele lassen die botanischen Namen einfach weg. Bei anderen steht mal Aster pansus, oder Aster diffusus und wieder bei anderen Aster ericoides. Im Gaissmayer-E-Shop werden, witziger Weise, gleich alle drei Namen genannt. Korrekt aber ist keine dieser Bezeichnungen. Als aus dem Nordosten Nordamerikas stammende Aster, wäre der korrekte Name Symphyotrichum. Richtig liegt, wer die Artbezeichung ericoides anfügt. Das trifft die Sache aber noch nicht ganz. Unter ericoides verstecken sich Unterarten, Subspecies. Falls mir kein gravierender Fehler unterlaufen ist, heißt 'Snowflurry' jetzt botanisch Symphyotrichum ericoides var. prostratum. Dabei bedeutet ericoides der Erica ähnlich und prostratum hingestreckt oder ausgebreitet. Die Bedeutung von Symphyotrichum kann ich in meinem etymologisch-botanischen Wörterbuch nicht finden. Wer die Bedeutung kennt, kriegt'n Taler.

Nun aber zurück in den Garten. Erfreuen wir uns noch etwas an 'Snowflurry', bis sie sich in den Boden zurückzieht. Sie hat sich zwei Plätze ausgesucht. In meine »Machia« ist sie vermutlich durch Samen geraten. Eigentlich gehört sie in diese mediterrane Welt nicht hinein, wenn man es geographisch betrachtet. Aber sie nimmt darauf keine Rücksicht und schiebt sich zwischen Origanum, Thymus, Santolinas und Zistrosen. Ihr ursprünglicher Platz war an einer Feldstein-Mauer, über die sie sich herabbeugt, der Sonne entgegen.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text: Christian Seiffert
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer