Die Jungviehweide –
Ort der Gartenkultur und grünes Netzwerk für Schöpfung und Ehrenamt

Text und Fotos: Matthias Rausch
Portrait Matthias Rausch: Stiftung Gartenkultur


Matthias Rausch
Organisationsentwicklung mit grünem Daumen und Leidenschaft

Die Natur hat 3,5 Milliarden Jahre Erfahrung bei der Gestaltung von regenerativen Systemen in planetaren Grenzen. Ökologische Gärtner machen sich diese Erfahrung zunutze. Sie arbeiten z. B. mit Kreisläufen und fördern aktiv die Steigerung der biologischen Vielfalt im Boden und ihren Beeten. Das macht Matthias Rausch in seinem kleinen Stadtgarten in Ulm.

In seiner Arbeit als selbstständiger Organisationsentwickler setzt er seit 2018 auf Konzepte, welche die regenerativen Muster der Natur auf Unternehmen und Organisationen übertragen. Mit den Themen Unternehmenskultur, Nachhaltigkeit und Regeneration begleitet er im Großraum Ulm Unternehmen.

Seit April 2024 ist er zudem in Teilzeit als Geschäftsführer der Stiftung Gartenkultur aktiv. Seine Aufgabe ist es, das »Biotop« Jungviehweide bei der zukünftigen Entwicklung zu begleiten und weiter zu entwickeln. Und auch dort sollen natürlich regenerative Prinzipien zum Einsatz kommen. 



Wer an die Jungviehweide in Illertissen denkt, erinnert sich an wunderschöne Gartenkabinette im Wandel der Jahreszeiten, ihre vielfältige Bepflanzung, darunter seltene Stauden und einjährige Wildblumen. An die vielfältigen Veranstaltungen und Workshops oder an den Duft frisch gebackener Kuchen im Museumscafé. Vielleicht auch an den einen oder anderen Staudenschatz im eigenen Garten, welchen man von der gegenüberliegenden Gärtnerei Gaißmayer mit in den heimischen Garten gebracht hat.

Die meisten Menschen verbinden dabei die Gärtnerei mit den Schaugärten und gehen wie selbstverständlich davon aus, dass beide Bereiche vom Gärtnereiteam angelegt und gepflegt werden. Auch wenn der Austausch mit der Gärtnerei ausgeprägt und wertschätzend ist, die Wunder der Jungviehweide entstehen auf anderem Weg.

Das kleine Paradies, das in den vergangenen Jahren auf dem Außengelände des Museums auf der Jungviehweide geschaffen wurde, ist das Ergebnis einer fruchtbaren Symbiose gesellschaftlichen Engagements. »Es ist nicht die Großtat eines Einzelnen, sondern das Werk vieler Hände, die ineinandergreifen«, wie es der Gründer der Gärtnerei und Stifter der Stiftung GartenKultur gerne immer wieder betont. Und bei diesen vielen Händen, welche in den Gärten tätig sind, handelt es sich zum überwiegenden Teil um ehrenamtliches Engagement. Denn sowohl der Verein Förderer der Gartenkultur e.V. als auch der operativ handelnde Vorstand der Stiftung investieren ehrenamtlich viel Zeit und Arbeitskraft, weil die Vermittlung von Gartenwissen und der Erhalt der ökologischen Vielfalt ein Herzensthema ist.

Die ökologische Vielfalt, die sich in den Stiftungsgärten wiederfindet, spiegelt sich auch im Ehrenamt wider. Hier gibt es keinen Einheitsbrei an Tätigkeiten, sondern ein buntes Feld an Einsatzmöglichkeiten.

Die »Dienstagsgärtner*innen« haben im Spätsommer schon mit der Ernte der Sämereien begonnen. Gut 100 Arten einheimischer, teils selten gewordener mehr- und einjähriger Wildblumen wurden dafür über das Jahr hinweg direkt ausgesät oder vorgezogen, pikiert, ausgepflanzt, gepflegt, gewässert und immer wieder von Unkraut befreit. Dazwischen gilt es Rasen zu mähen, Fallobst zu sammeln oder Hecken zu schneiden. Über den Winter hinweg werden in geduldiger Handarbeit die Samen gereinigt. Mit feinen Sieben, die dafür im Vereinslager auf Ihre Verwendung warten, wird das Saatgut fachgerecht und liebevoll getrennt, in dunkle Gläser verpackt und dann in der »Schatzkammer« des Vereins eingelagert. Tausende Arbeitsstunden fließen Jahr für Jahr in die Pflege der Gartenkabinette und die Gewinnung des Saatgutes.

Das Saatgut schlummert gut verwahrt und kühl gelagert seiner Bestimmung entgegen. Das Saatgut-Team beginnt in Vorbereitung auf das erste Highlight im Jahr – dem Saatgutmarkt im März – mit seiner Arbeit. Da werden winzige Samenkörnchen mit kleinsten Löffelchen in die Samentüten gepackt, verschlossen, mit erläuternden Aufklebern beschriftet und in den Saatgutautomaten und im Museumsladen bereitgestellt. Woche für Woche wird über das Jahr hinweg der Abverkauf überwacht und bedarfsgerecht nachgefüllt. Eine fast meditative Arbeit, wäre da nicht der freundschaftliche Austausch über Gott und die Welt, welcher parallel dazu stattfindet. Diese kontinuierliche Geduldsarbeit hat sich mittlerweile zu einem wichtigen Finanzierungsbaustein von Verein und Stiftung entwickelt.

Und wie in jedem Verein gibt es weitere Tätigkeitsfelder, in der Organisation, im Fundraising, in der Aktivengewinnung oder der Vorstandsarbeit. Selbst die jahreszeitliche Floristikdekoration entsteht durch ehrenamtliche Handarbeit – Blumen dafür gibt es auf dem Gelände zum Glück in Hülle und Fülle. Leider viel zu selten kommen Besucher in den Genuss, das Team der ebenfalls auf dem Museumsgelände zu findenden Pastis-Bar im Einsatz zu erleben. Das Team hat sich zwei bisher recht unscheinbare Gartenkabinette vorgenommen und verwandelt diese liebevoll in den »Jardin Louis Pastis«, natürlich stilecht mit Boulebahn und viel französischem Flair. Nur für vereinsinterne Feiern öffnet das Team dann die flüssigen Schätze der Jungviehweide.

Wer vor Gartenarbeit zurückschreckt, aber Bücher liebt, kann in der Stiftung die Gartenbibliothek aktiv werden. Neue Bücherspenden müssen gesichtet und sortiert werden, für die Inventarisierung vorbereitet und dann auch in die Bibliotheksregale eingeräumt werden. Die Gartenbibliothek ist übrigens Teil der Universitätsbibliothek Ulm und in ihr kann recherchiert werden. Doppelte Bücher werden für die Weitergabe im Antiquariat vorbereitet. Interessierten Besucher*innen wird der Zugang zu den Büchern erläutert. Schon Cicero sagte »Wenn Du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es Dir an nichts fehlen.« – In der Gartenbibliothek lässt sich beides verbinden.

Auch das Museum der Gartenkultur wäre ohne ehrenamtliches Engagement nicht denkbar. Von April bis Oktober macht es das Museumsteam vier Tage in der Woche zugänglich. Es steht für Fragen der Besucher*innen zur Verfügung, kennt die eine oder andere Geschichte zur Ausstellung oder hilft bei der Auswahl im kleinen aber feinen Museumsladen. Ein regelmäßiger Besuch im Museum lohnt sich, so kann man über die Saison immer wieder Neues und all die wunderbaren Menschen und ihre persönliche Motivation für das Engagement in der Stiftung kennenlernen.

Je nach Wochentag kann man dann auch einen oder mehrere Stiftungsvorstände vor Ort finden. Mit gut verteilten Aufgaben kümmert sich der eine um alle baulichen Tätigkeiten, die andere um die Anzucht von Pflanzen im Gewächshaus oder die liebevolle Gestaltung der Gartenbibliothek. Die Stiftungsprojekte, seien es die Klimabäume oder das Kletterpflanzenprojekt wollen geplant, koordiniert und realisiert werden. Es gilt, im Gästegarten mit seinen Tiny-Häusern für Aktive und Gäste von Stiftung und Verein einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen oder die neue Ausstellung im Museum der Gartenkultur zu planen.

Von den Mitarbeitenden der Stiftung wird Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Förder- und Projektmanagement, IT-Support und die strategische Weiterentwicklung der Stiftungsangebote geleistet. Und natürlich wird das vielfältige Veranstaltungsprogramm auf dem Gelände, gemeinsam mit dem grünen Netzwerk aus Gärtnerei, Obst- und Gartenbauvereinen, Naturschutzorganisationen oder dem Slowflower-Bewegung – um nur einige zu nennen – mit Inhalten gefüllt, organisiert und durchgeführt.

Teils beratend, teils operativ ist auch der Stiftungsbeirat ehrenamtlich mit in dieses Geflecht verwoben. So wie sich in einem farbenfrohen und harmonischen Garten Einjährige und Stauden ergänzen, so tun das auch die verschiedenen Kompetenzen der aktiven Menschen. Pflanzen brauchen für ihr Gedeihen den richtigen Boden und Standort. Das verhält sich bei uns Menschen ganz ähnlich. Deshalb ist es wichtig, an ehrenamtlicher Mitarbeit interessierten Menschen verschiedene Angebote machen zu können. Auf der Jungviehweide ist sicher für jeden etwas dabei. Ein verbindendes Wurzelgeflecht bildet sich schnell: Sei es das gemeinsame Mittagessen – jeweils von einer der »Dienstagsgärtner*innen« vorbereitet, das verbindende Vereins- oder Stiftungs-T-Shirt, ein herzliches Dankeschön nach getaner Arbeit oder die umfängliche freundschaftliche Kommunikation, all das ist – von allen für alle – gelebte Wertschätzung für unbezahlten, tatsächlich unbezahlbaren Einsatz.

Nicht vergessen sollen an dieser Stelle all die Menschen und Unternehmen sein, welche den Verein und die Stiftung finanziell unterstützen. Sei es durch eine kleine Spende vor Ort, durch eine langjährige Fördermitgliedschaft im Verein oder sogar als Zustifterin oder Zustifter umfangreich und substanziell. Diese großherzigen Menschen sind ebenso Teil des grünen Netzwerks auf der Jungviehweide. Das kleine Paradies am Rande von Illertissen ist im Zusammenspiel aller entstanden und kann auch nur gemeinsam florieren und gedeihen.

 

Gastbeiträge
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Text und Fotos: Matthias Rausch
Portrait Matthias Rausch: Stiftung Gartenkultur