Fatale Ordnungsliebe
Ein Beitrag von Andreas BarlageWas war das für ein Schreck, als ich vergangene Woche meinen hoch betagten Vater Rudolf besuchte! Wie immer beinhaltete die Stippvisite neben einem leckeren Mittagessen, das meine Stiefmutter Marianne zubereitete, einen Check im Garten; diesmal sollte ich die zahlreichen Rosen einwintern. Bis zu dem Moment als ich den Garten betrat, war die Stimmung gut. Aber was sah ich dann?
Nichts.
Naja – die Rosentriebe ragten noch aus dem Boden. Aber wo waren die vielen Stauden, die noch vor wenigen Wochen dort prunkten und blühten? Marianne bemerkte meine Bestürzung und erläuterte, dass ihre Hilfe in häuslichen Dingen, während die beiden unternehmungslustigen Altertümchen auf Reisen waren, sich um den Garten gekümmert hatte. Jakob hat, das muss ich zugeben, seine Sache gründlich und ordentlich gemacht. Viel zu ordentlich, denn er hatte alles, was die Stauden über den Boden zeigten bodennah zurück geschnitten und das Ganze auch noch mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt. Marianne entschuldigte sich bei mir – aber eigentlich konnte keiner etwas für dieses Fiasko.
Fakt ist nämlich, dass in vielen Gärten, die, sagen wir mal „traditionell“ gepflegt werden, „Ordnung“ eine zentrale Bedeutung einnimmt. Der fleißige Jakob hatte sich lediglich nach den allgemeinen Auffassungen von Gartenpflege gerichtet. Ich bin sicher, dass er in allerbester Absicht gehandelt hatte – mit dem Ergebnis, dass der Garten im Winter nun eher einem Friedhof gleicht, als einem lebendigen Ort. Denn einige Stauden sollten unbedingt über die frostigen Monate stehen bleiben, denn sie wandeln sich, obwohl bereits abgestorben, zu höchst lebendigen Faszinosen. Das Stichwort lautet hier „Kristallisation“.
Prinzipiell reicht es nämlich, Stauden auszuwählen, die hinreichend solide Stiele, Blätter und Samenstände ausbilden welche nicht einziehen, um eine Winterwunderlandschaft vorzubereiten. Alle Pflanzenteile eignen sich als Ansatzpunkt für Reif, der sie aussehen lässt, wie überzuckert. Gerade feine, aber gleichzeitig feste Triebe welcher Art auch immer geraten zu hauchfeinen Kunstwerken, die wie aus Glas gefertigt scheinen. Die Goldaster Chrysopsis speciosa 'Sunnyshine', etwa bildet reizvolle rundliche Samenstände aus, an denen sich die filigranen Eiskristalle anhaften können. Eine kontrastreiche Form bildet dazu etwa Amsonia hubrichtii, der Blausternbusch mit seinen aufrecht, wie mit feinen Nadeln bestückten Trieben. Dann braucht man lediglich noch einige Bergenien mit ihren rundlichen, großen Blättern (… im Winter fantastisch blutrot gefärbt zeigt sich etwa 'Eroica'...) und ein stimmungsvolles Trio ist gefunden.
Gräser gehören zu den allerschönsten Winterpflanzen, denn ihre feine Blattstruktur und zuweilen noch anhaftende Samenstände laden Väterchen Frost ein, zum Designer zu werden. Achten Sie aber darauf, Arten zu pflanzen, die im Winter ihr Laub nicht einziehen. Das aus Nordamerika stammende Plattährengras Chasmanthium latifolium etwa ist so ein bezaubernder Trotzkopf. Seine anmutig überhängenden Ähren tragen sogar eine gewisse Schneelast, so fest sind sie. Auch die vielen Züchtungen vom Chinaschilf (Miscanthus) treten im Winter bereift und verschneit stark in Erscheinung, denn fast immer sind die Halme drahtig und die Pflanze hat eine zuverlässige Statik. Die halbhohe Sorte 'Ferner Osten' etwa ist besonders attraktiv.
Bleibt also in jedem Winter zu hoffen, dass sich Reif und Schnee auch einstellen...
wenigstens bis die ersten Frühlingsblüten wieder eine ganz neue Gartenmelodie anstimmen. Im lauen Lenz ist es dann auch wieder angebracht, ordentlich zu gärtnern und die Stauden jetzt zurück zu schneiden. ... aber erst dann – versprochen?
Text und Fotos: Andreas Barlage