Reallabor für Micro Climate Cultivation

Text: Angelika Traub / Dieter Gaißmayer
Foto Pflanzenturm: Martin Traub
Fotos: Dieter Gaißmayer

Mit der gemeinnützigen Stiftung Gartenkultur (gegründet 2010) und dem Museum der Gartenkultur (Eröffnung 2013) auf der Illertisser Jungviehweide bringt man bisher die interessanten Ausstellungen im Museum mit seinem riesigen Fundus historischer Exponate, die dort befindliche umfangreiche Bibliothek und die Schaugärten, also die vom tatkräftigen Verein Förderer der Gartenkultur gestalteten und betreuten Gartenkabinette mit ihren vielen Themenpflanzungen in Verbindung. Hinzu kommt eine Vielzahl von Veranstaltungen. Das Bewahren und Vermitteln gartenkultureller Traditionen sowie der Erhalt historischer oder selten gewordener Pflanzen sind Kernanliegen.

In der Frühjahrsausgabe 24 der Zeitschrift blätterrauschen präsentiert sich die Stiftung nun von einer ganz neuen Seite, sie berichtet über die Beteiligung an einem ausgesprochen zukunftsorientierten Projekt, in dem sie sich aktiv forschend einbringt.

Was das »Reallabor für Micro Climate Cultivation« auf der Illertisser Jungviehweide erforscht, will Angelika Traub von Dieter Gaißmayer genauer wissen:

Angelika Traub (AT): Lieber Dieter, was hat Dich bewogen, den traditionsverhafteten Aktivitäten der Stiftung Gartenkultur ein in die Zukunft gerichtetes Vorhaben hinzuzufügen? Und was darf man sich unter diesem erstmal ziemlich kryptisch klingenden Thema vorstellen?

Dieter Gaißmayer (DG): Das Bewahren gärtnerischen Kulturguts und gartenkultureller Tradition ist und bleibt mir ein großes Anliegen, aber gleichzeitig habe ich immer schon gern den Blick in die Zukunft gerichtet und meine Ideen dann auch umgesetzt. Ein Beispiel ist die Pionierarbeit in der Frühphase der Gärtnerei, Kommunen davon zu überzeugen, diverse Flächen und auch Verkehrsinseln nachhaltig mit Stauden zu begrünen, statt des aufwändigen Wechselflors – das war lange bevor Ökologie, Nachhaltigkeit und Insektenschwund ein gesellschaftliches Thema wurden.

Als die beiden Produktdesignerinnen Carlotta Ludig und Nicola Stattmann vom Office for Micro Climate Cultivation an mich herantraten, hat es mich sofort gereizt, das Potential ihrer Ideen auszuloten.

AT: Worum geht es konkret?

DG: Das Projekt erforscht Alternativen zu vermehrten Baumpflanzungen und Fassadenbegrünungen für die Verbesserung des Mikroklimas in Städten. Vielerorts sind zusätzliche Baumpflanzungen oder der Austausch von kranken Bäumen gar nicht möglich, das scheitert häufig an Platzmangel, enorm hohen Kosten oder komplizierten, oft unerfüllbaren behördlichen Auflagen. Fassadenbegrünungen sind aufwändig, anspruchsvoll und pflegeintensiv. Außerdem leisten sie keinerlei Schattierung. Wir brauchen aber aufgrund der immer heißer werdenden Sommer dringend viel mehr atmendes, kühlendes Grün in unseren Städten, und es sollte, wenn irgend möglich, auch Schatten spenden.

Das Projekt MCC verfolgt einen völlig neuen Ansatz: Erdunabhängige, also mobil einsetzbare Module mit freistehenden hohen Gerüsten werden mit Netzen als Kletterhilfe für extrem schnell- und hochwachsende Pflanzen bestückt. Am Ende der Saison werden die Netze zusammen mit den Pflanzen demontiert und als Biomasse in Energie umgewandelt.

AT: Das musst Du uns genauer erklären, lieber Dieter, welche Pflanzen eignen sich dafür und wie darf man sich die Bestückung der Module vorstellen?

DG: Genau das ist Teil meines/unseres Beitrages hier auf der Illertisser Jungviehweide. Wir haben reichlich Platz und können die verschiedensten schnell- und starkwüchsigen Pflanzen auf ihre Eignung prüfen. Hier verlasse ich gern einmal das Gärtnern mit Stauden, denn die genutzten Arten und Sorten sollen ja nur eine Saison lang ihren wichtigen Dienst tun. Wir haben schon eine ganze Reihe extrem schnell wachsender, in unserem Klima meist ohnehin nur einjährig zu kultivierender tropischer und subtropischer »Riesenkletterer« mit vielversprechendem Potenzial zusammengetragen. Sie werden vorkultiviert und kommen ab Mitte Mai in die Pflanzkübel, wo sie sofort durchstarten und schon nach wenigen Wochen die Netze erobern.

AT: Interessant, freistehende Gerüste kennt man aus der Baubranche, es leuchtet also ein, dass man deshalb über Daten verfügt, um auch die statische Belastbarkeit bei Sturm und Extremwetter berechnen zu können. Aber die Kultivierung dieser »Himmelsstürmer« und ihre vermutlich unterschiedlichen Bedürfnisse müssen sicher erst erprobt werden. Welche Substrate werden für die Pflanzkübel verwendet? Wie wird gedüngt und bewässert?

DG: Ja, genau diesen Herausforderungen stellt sich das Projekt. Unser Beitrag ist das Finden und Beobachten einer mittlerweile ganzen Reihe von Kletterpflanzen. Ein weiterer Projektpartner sorgt für hervorragende, torffreie Substrate mit höchstem Ökostandard und ausgeklügeltem, von den Pflanzen nach und nach abrufbarem Nährstoffdepot auf rein biologischer Basis.

AT: Und sicher braucht es doch auch eine intelligent gesteuerte Bewässerung. Es ist ja kaum vorstellbar, dass Gärtner in großen Städten die Runde mit der Gießkanne machen?

DG: Ganz genau! Das voll automatische Tropfbewässerungssystem von Blumat, das hier zum Einsatz kommt, arbeitet tensiometergesteuert und ermittelt den individuellen und vor allem schwankenden Wasserbedarf der Pflanzen absolut bedarfsgerecht. Ein Zuviel oder Zuwenig durch Gießfehler sind so vollkommen ausgeschlossen – eine Methode, die sich übrigens auch im Garten bestens bewährt.

AT: Habt Ihr schon eine Favoritenliste besonders vielversprechender Pflanzen? Welches sind Deine Lieblingskandidaten?

DG:  Ja, es gibt einige Favoriten, die sich hervorragend machen und aus verschiedenen Gründen besonders interessant sind. Außerdem bin ich ständig auf der Suche nach weiteren »Kandidaten« – für mich ein ganz neues Feld und ein wirklich spannender Prozess:

  • Sehr gefällt mir die bis zu 6 Meter hohe »Spanische Flagge« (Ipomoea lobata), ihre attraktiven zweifarbigen Blüten erscheinen besonders im Spätsommer und Herbst, was für viele Bestäuber sehr wertvoll ist.
  • Ein wahrer Riese ist die Mondwinde (Calonyction album), ein Nacht- und Morgenblüher mit großen, duftenden weißen Blüten, der hierzulande 10 Meter hoch wird.
  • Gar als Superfood gilt die 4-6 Meter hohe Inka-Gurke (Cyclanthera pedata), eine absolute Schnellstarterin, die wahre Massen essbarer Früchte hervorbringt.
  • Ähnlich schnell wächst die attraktiv belaubte und in allen Teilen (Blüten, Laub sowie die im Herbst erntereifen Knollen) essbare, 2-4 Meter hoch werdende Knollige Kapuzinerkresse (Tropaeolum tuberosum)
  • Den wunderschönen, unermüdlich erscheinenden Blüten der etwa 8 Meter erreichenden Glockenrebe (Cobaea scandens 'Alba') folgen (nur in sehr warmen Regionen) pflaumengroße grüne Früchte.
  • Auch die sukkulenten Blätter des Madeiraweins (Anredera cordifolia) sind roh und gekocht essbar. Die duftenden weißen Blüten erscheinen im Spätsommer.

Die Reihe wäre durchaus noch fortzusetzen, aber dabei will ich es jetzt erstmal belassen.

AT: Das hört sich bereits jetzt nach wirklich vielversprechenden Erfahrungen an. Gibt es weitere Pläne?

DG: Tatsächlich hat mich dieses Projekt zu neuen Ideen inspiriert, die in eine ähnliche Richtung gehen und bei uns auf der Jungviehweide kurz vor der Erprobungsphase stehen – aber darüber lass uns ein andermal sprechen, das muss noch etwas »reifen«.

AT: Gut, dann will ich mich mit diesem »Cliffhanger« begnügen und Dir noch eine letzte Frage stellen: Wo siehst Du Sinn und Aufgabe der Stiftung Gartenkultur in diesem Kontext?

DG: Die ökologische Notwendigkeit, in Zeiten des Klimawandels nach neuen Lösungen zu suchen, ist offensichtlich. Wir wollen, so sich die Erwartungen des MCC-Forschungsprojekts erfüllen, den potentiellen Nutzern, also Kommunen und durchaus auch privaten Investoren, die Machbarkeit aufzeigen, denn sinnvoll sind auch die besten neuen Ideen nur dann, wenn eine entsprechende Breitenwirkung erreicht wird. Dazu gehört auch, dass wir unser Engagement den vielen Besucherinnen und Besuchern hier bei uns in Illertissen demonstrieren, denn der Impuls, ein solches Projekt zu realisieren, kann auch wirksam durch engagierte Bürger eingebracht werden.

AT: Lieber Dieter, danke für diesen Einblick in spannende Zukunftsfelder!

Dieter Gaißmayer
Dieter Gaißmayer hat 40 Jahre die Geschicke der Staudengärtnerei gelenkt und die Verantwortung zum 1.1. 2020 vertrauensvoll an die junge Generation übergeben. Aber wer ihn kennt, der weiß – Ruhestand ist keine Option! Er freut sich, nun endlich...
Mehr lesen

Text: Angelika Traub / Dieter Gaißmayer
Foto Pflanzenturm: Martin Traub
Fotos: Dieter Gaißmayer