Fröhliche Promiskuität: Primeln im Frühlingsgarten
Ein Beitrag von Michael SchwerdtfegerPrimula heißt – wir können ja alle gut Latein – »die kleine Erste«. Dabei gilt dies gar nicht unbedingt für die Himmelsschlüssel (Primula veris), die im Mai auf den Wiesen blühen, und nicht einmal für die Hohe Schlüsselblume (Primula elatior) im Frühlingsbuchenwald. Aber unsere Kissenprimeln in den Gärten (Primula vulgaris, früher auch Primula acaulis) öffnen ihre Blüten oft schon zusammen mit den Schneeglöckchen und bieten den aus der Winterstarre erwachten Zitronenfaltern erste Nahrung.
Primula vulgaris ist in den europäischen Gebirgen zu Hause und blüht in der Schweiz gelb, auf dem Balkan aber auch rot. Und wo sie im Garten miteinander in Kontakt geraten, mendeln sie alsbald in allen erdenklichen Pastellfarben herum. Und nun kommen auch unsere schon erwähnten P. veris und P. elatior ins Spiel: Die haben wir ja ebenfalls im Garten, unter diesen künstlichen Idealbedingungen halten sie sich weniger streng an ihre natürlichen Blütezeiten. Und mit den Zitronenfaltern kommen die Hummelköniginnen und die langrüsselige, fluggewandte Pelzbiene Anthophora plumipes. Sie vermählen bei ihrer fleißigen Bestäubungsarbeit nicht nur die Farben, sondern ungeniert auch die drei Arten untereinander. Die Folge ist, dass es in unserem Garten nach ein paar Jahren nicht nur in allen Farben, sondern auch allen Blütengrößen und Stiellängen hemmungslos herumprimuliert.
Die Schulbildung lehrt, dass sich verschiedene Arten nicht fruchtbar untereinander kreuzen. Dabei wird aber meist nur an Tiere gedacht; die »warnenden« Beispiele sind dann meist Pferd, Esel und Maultier. Bei Pflanzen jedoch liegen die Kreuzungsbarrieren oft einfach in verschiedenen Blühzeiten und Standorten, und sobald sie sich unter Gartenbedingungen begegnen, zeigt sich, dass sie genetisch bestens miteinander »können«. Was die Primeln betrifft, kann man das extrem charmante Resultat in reifen Parkanlagen wie dem Alten Botanischen Garten der Universität Göttingen beobachten. Hier blühen sie jedes Frühjahr zu tausenden: Primula elatior, P. veris, P. vulgaris – und alle möglichen Varianten dazwischen!
Text und Fotos: Michael Schwerdtfeger