Ungeahnte Froschperspektiven

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Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich vor mehr als 25 Jahren unseren Reihenhausgarten neu gestaltete. Im hinteren Teil errichtete ich ein kleines Erdgewächshaus mit einer Grundfläche von etwa drei mal drei Metern. Auf dieser Fläche hob ich die Erde einen Meter tief aus, wobei eine riesige Erdmenge anfiel. Denn das Volumen der ausgehobenen und locker aufgeschütteten Erde hatte sich verdreifacht. Um nichts in der Welt wollte ich diese Erde abfahren lassen. Doch wohin damit, wenn der Garten nur 115 Quadratmeter groß ist?

Hochbeet mit Nagelfluh eingefasst

Ich beschloss, zwei Hochbeete zu bauen. Eingefasst habe ich sie mit Trockenmauern aus Nagelsteinen, die ich von einem Steinbruch aus dem Voralpenland anfahren ließ. Diese Konglomerat-Steine sehen aus wie die Brocken eines gesprengten Bauwerks aus Beton. Sie waren unregelmäßig geformt und verlangten mir beim Aufschichten neben körperlicher Kraft auch viel Geduld und Geschick ab. Eines der beiden Hochbeete legte ich auf einer Fläche von etwa vier mal fünf Metern 50 Zentimeter hoch an, ein anderes ist ungefähr dreieinhalb mal zwei Meter groß und 70 Zentimeter hoch. Ich möchte hier aber das Augenmerk auf das hintere, 70 Zentimeter hohe Beet richten. Auf diesem Beet in halbschattiger Lage ergänzen sich Salomonssiegel (Polygonatum odoratum) und Waldmeister (Galium odoratum) mit ihren weißen Blüten, daneben blühen ein weißes und ein rosafarbenes Tränendes Herz (Dicentra spectabilis). An schattigen Stellen gedeihen zwei Farne, ein kleiner Ilex bildet den immergrünen Hintergrund. Der gelbe Islandmohn (Papaver nudicaule) erinnert uns an eine längst verstorbene Gartenfreundin, die uns davon einmal eine Prise Samen geschenkt hatte. Seitdem geht dieser zarte, gelbe Mohn gerade in den Trockenmauern und sogar auf der Treppe hinunter zu unserem Erdgewächshaus auf. Später im Sommer bedecken die Polsterglockenblumen (Campanula portenschlagiana) die Trockenmauern mit ihren blauen Blütenglocken, und oben auf dem Beet verströmt die Staudenclematis 'Cassandra' einen geradezu aufdringlichen Duft, an dem niemand vorbeikommt, ohne ihn tief einzuatmen.

Ungeahnte Einblicke

Womit ich aber bei der Planung meiner Beete und dem Bau des Erdgewächshauses nicht gerechnet hatte: Wenn ich nach dem Säen, Pflanzen und Gießen aus dem Gewächshaus trete, eröffnet sich vor meinen Augen eine einzigartige Froschperspektive. Vor mir, am Fuß der Eberesche, fällt mein Blick auf eine kleine Funkien-Kombination: Die Hosta sieboldiana 'Blue Angel' mit ihren großen blauen Blättern wird umrahmt von der weißgrün belaubten Hosta 'Fragrant Bouquet'. Selbst wenn sie noch gar nicht blühen, ist das ein umwerfender Anblick, den ich in Augenhöhe genießen kann.

Blicke ich nach links über die kleine Treppe hinweg nach oben, so erscheinen mir die Nagelfluhsteine der Trockenmauer, die zwischen den Polsterglockenblumen hervortreten, wie ein Teil eines Felsens. Gerade waren es noch das Salomonssiegel, nun blühen die Tränenden Herzen und bald werden es die Polsterglockenblumen und die 'Cassandra' sein, die ich von hier unten bewundern kann. Ich habe mir mit dem fünfstufigen Treppenabgang zum Erdgewächshaus eine Perspektive geschaffen, die ich vorher weder geplant noch geahnt hatte. Sie hat sich ergeben, nachdem alles fertig war. Die Motive wechseln mit der Jahreszeit: In wenigen Wochen blühen die Hosta unter der Eberesche, und im Herbst kann ich ihre sattgelben Blätter bewundern. Im Frühjahr, bevor sie wieder austreiben, erfreuen mich Krokusse, Schneeglöckchen und Scilla mit ihren Blüten.

Blüten auf Augenhöhe

Doch nicht nur aus der Tiefe meines Abgangs zum Erdgewächshaus, auch durch die erhöhten Staudenbeete ergeben sich Perspektiven, für die ich sonst in die Hocke gehen oder mich sogar auf den Bauch legen müsste um sie aus dieser Sicht zu genießen. Auf den Hochbeeten betrachte ich den Brennenden Busch (Diptam), die Rose 'Rose de Resht', die Weiße Spornblume (Centranthus ruber 'Albus') und die anderen Stauden und Kräuter in Augenhöhe.

Duftgenuss beim Baden

In meinem anderen Garten, dem Kreativgarten auf dem Reitsbergerhof, ergibt sich die Froschperspektive beim Baden. Aus meinem Badeteich heraus sehe ich nicht nur den Garten mit seinen Stauden aus dem Blickwinkel des Wasserspiegels. Ich habe auch die Seerosen unmittelbar vor meinen Augen, vor allem die duftende Gelbe Seerose Nymphaea odorata 'Sulphorea'. – Wo sonst könnte ich meine Nase so tief in einer Nymphe vergraben …?

Wolfram Franke
aus Vaterstetten Handfeste Gartenarbeit und Schreiben, sowohl mit grüner Tinte als auch mit dem Computer, gehören für Wolfram Franke zusammen. Seinen seit 1994 gewachsenen Kreativgarten in Vaterstetten hat er mit alten Baustoffen gestaltet.
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Text und Fotos: Wolfram Franke