Der Heckenblues
Text: Hubertus Albersmeier
Fotos: Ute Eckartz
Samstagmorgen, 20. Juni, Frühstückssituation im Ruheständlerhaushalt gegen 6.30 Uhr, seit Tagen beim Verdrängen! Wie sagten die Altvorderen immer: Auf Johanni müssen die Hecken geschnitten sein! Und die waren immer geschnitten. Immer!
Sitze da also mit der Tageszeitung beim Verdrängen, schlürfe Kaffee, auch um wach zu werden und werte den Veranstaltungskalender aus: Man könnte sich an diesem Wochenende um seine verklebten Faszien ganzheitlich kümmern, etwas gegen seine emotionale Disballance unternehmen oder aber mal energisch gegen die!
Da fällt mir dann die Entscheidung leicht: Hecke scheren!
Hecke scheren ist an sich wenig kreativ, schweißtreibend, beansprucht Muskelpartien, die sonst eher außen vor bleiben, also Muskelkater anlockend, läuse- und mehltaubehaftet, lärmig und stachlig – kurz ekelhaft! Es sei denn: Man erhebt es zur Obsession!
Der Wiederaustrieb aus schlafenden Augen erfolgt nicht regellos, sondern nach strengen, vorhersagbaren Gesetzmäßigkeiten. Du »erziehst« eine höhere Pflanze zu einem erwünschten Verhalten. Dein Eingreifen verursacht eine Reaktion! Du bist der Bestimmer! Ist das vielleicht der eigentliche Grund, warum in aller Regel Männer Hecken scheren? Soviel Restintuition scheint dem männlichen Wesen doch noch innezuwohnen, freilich fassen sie es wahrscheinlich geringfügig trivialer:... stutz Dich zusammen... bis hier und nicht weiter... setz Dich auf den Stock... hier hast Du nichts zu suchen . Kultureller Endpunkt dieser Entwicklung ist der lasergestützte Heckenschnitt mit GPS-gesteuertem Heckenroboter. Mann lässt es zur Spielerei »verkommen«.
Aus Gartenkunst wird Gartenkommerz.
Dabei erkennt man an, dass die Formschnitthecke abgrenzen, einfrieden, einhegen, trennen und Grenzen kenntlich machen soll, aber auch, dass sie ein Lebewesen mit Eigenleben ist, dass sie beispielsweise auf einem Abschnitt mit Füllboden und gestörten Bodenhorizonten nicht so leistungsfähig sein kann wie auf ungestörtem Grund mit gleichmäßiger Wasserführung und ohne Verdichtungshorizonte. Wie im richtigen Leben bekommt so eine Hecke, die es in der Umwelt auf die ein oder andere Weise schwer oder auch leicht hat, ihren ganz speziellen Habitus, ihre ihr eigene Gestalt, Endhöhe, Dichte und Erscheinungsform, die der Scherer bei entsprechendem Gespür durch Behutsamkeit oder energischeren Eingriff berücksichtigt. Das Ergebnis ist Harmonie, keine kraftstrotzende Deathline, gelassene Nachbarschaft und Koexistenz, weicher Übergang, keine harte Grenze!
Hecken bestehen dabei aus Individuen! Sind diese Sämlinge und nicht Steckholz vermehrt von der gleichen Mutterpflanze, haben sie durchaus wahrnehmbare Unterschiede gemäß ihrer genetischen Ausprägung, zeigen abweichende Verzweigungsmuster, unterschiedliche Blattgröße, divergierendes Ausschlagsvermögen und unterschiedliches Wuchsverhalten.
Wie dem auch sei und wie schön man auch immer drüber philosophiert: Die Heckenschneiderei um Johanni ist Maloche! Hat mit Durchhalten, Wunden lecken, Juckreiz, Stichverletzungen, Staub, Blut, Schweiß und Tränen zu tun. Danach ist lustvoller Sommerurlaub dran! Nur noch schöne Sachen! Nach dem Heckescheren ist alles andere nur noch Wellness!
P.S. Ach, der Liguster um den Kompost muss noch!
Text: Hubertus Albersmeier
Fotos: Ute Eckartz