Immer der Nase nach
Ein Beitrag von Stefan LeppertIch habe als Vorsitzender eines Kleingartenvereins das Glück, 45 mehr oder weniger vernünftige Mitglieder zu haben, denn das beschränkt den Umfang vermeidbarer Verwaltungsarbeit auf ein Minimum. Weiterhin liegen wir zwischen einem recht naturbelassenen Erholungspark und einer schönen Einfamilienhaussiedlung aus den 60er Jahren. Es ist vergleichsweise ruhig, die Luft ist gut, man kann getrost von einer grünen Oase in der Stadt sprechen. Doch die Zeiten werden nicht einfacher.
Auf der jährlichen Mitgliederversammlung Ende April etwa fand sich eine Mehrheit für den Antrag, unseren Vereinsparkplatz wegen geringfügiger Nutzung in ein »Biotop ohne Wasser« zu verwandeln. Rasch bildete sich eine Arbeitsgruppe, schon bald hing eine Skizze mit den Ingredienzien des Biotops im Schaukasten, mit der der Urheber des Antrags seiner Sehnsucht ein Bild gab: Ich will die Welt retten! Totholzhaufen, Sandarium, Steinhaufen, Schlehen, Ebereschen (die er Vogelbeeren nannte), Berberitzen, Wildblumenwiese und das alles auf 350 Quadratmetern. Noch ist nichts gepflanzt und nichts ab- und aufgeschüttet, aber die Arbeitsgruppe scharrt mit den Hufen. Ein paar Holzpaletten hat man schon an den Rand der Zufahrt aufeinander gestapelt, für was auch immer. Vermutlich soll die dadurch entstandene Enge den Mitgliedern, die der Mitgliederversammlung ferngeblieben sind und nach wie vor den Parkplatz nutzen, das Befahren verleiden.
Eine unerwartete Zwischennutzung stellte ich gestern fest, die mich zu einem für uns Kleingärtner brandheißen Thema führt. Ich hatte Material vom Baumarkt geholt und mir die Frechheit erlaubt, den Parkplatz noch ein letztes Mal zu nutzen. Auf dem Weg zurück zum Auto schnappte meine Nase einen süßlich-würzigen Geruch auf und als ich um die Hecke bog, erblickte ich die Urheberin. »Hi, ich bin Patty.« Patrizia, so nehme ich an, ist um die zwanzig und hielt einen Glimmstängel in der rechten Hand, die sie lässig, aber auch etwas verstohlen an dem Palettenstapel herunterbaumeln ließ, um sie zu verbergen. Als ich einen Schritt nach links tat und meinen Blick auf Hand und Joint heftete, bekam Patty nicht etwa ein schlechtes Gewissen, sie wurde eher zutraulich. »In meiner WG soll ich nicht rauchen und aus dem Fenster qualmen will ich auch nicht, wegen der Nachbarn.« Ich nickte und meinte, nur mit einem Hauch Ironie, dass so die Paletten wenigstens einen mir verständlichen Sinn bekämen. »Ach, sag mal«, meinte Patty dann (Duzen von Opas ist voll im Trend), »habt Ihr vielleicht ne Parzelle zu vergeben?« Der Sinn dieser Frage erschloss sich mir unverzüglich. Und damit sind wir wieder bei der Mitgliederversammlung.
Auf dieser Versammlung steuern die Mitglieder unter Tagesordnungspunkt 7 »Verschiedenes« in der Regel nichts bei, denn normalerweise läuft alles reibungslos im Verein, und niemand möchte die Sitzung weiter in die Länge ziehen. Doch in diesem Jahr war es anders. Am 1. April 2024 hatte man nicht nur, wie immer, schlechte Scherze, sondern auch Cannabis legalisiert, was unter gärtnernden Menschen selbstverständlich eine gewisse Regsamkeit ausgelöst hat. Der Bundesverband der Kleingärtner war schnell bei der Hand und versah über seine Landes- und Stadtverbände die Vereinsvorsitzenden mit der Direktive: Hanfanbau ist nicht gestattet! Der Grund: Eine Kleingartenanlage ist eine öffentliche Fläche, und die Erlaubnis von drei weiblichen Pflanzen gilt nur für den privaten, also streng bewachten Lebensraum unter freiem Himmel.
Sie ahnen es, die Geschichte steuert auf den vierten Satz am Beginn dieses Beitrages zu. Denn einer unserer Mitglieder stellte, nachdem ich die Weisung des Bundesverbandes vorgetragen hatte, die berechtigte Frage: »Und wie willst Du das kontrollieren? Wir sind als liberaler Verein bekannt und jetzt gehst Du durch die Gärten und kontrollierst jede Ecke?« Verbreitetes Kopfnicken, mir wurde unwohl, die Stimmung schien in die Richtung »Jeder nach seiner Fasson« zu kippen, was in diesem Fall nicht nach dem Geschmack eines Vorsitzenden sein kann, der Paragraphen umsetzen muss. Völlig unerwartet sprang mir jedoch ein offensichtlicher Kenner des Hanfanbaus bei. Man muss wissen, dass etliche unserer Mitglieder in einem Alter sind, die man der 68er-Generation zuordnet und die sich in ihrem Kleingarten gerne alter Zeiten erinnern. Sie bringen zu Fragen des Hanfanbaus bedeutend mehr Wissen ein als etwa Jungfamilien mit Kindern. Wie dem auch sei, dieser Gartenfreund klärte alle Unwissenden auf, dass der Vorsitzende nicht von Parzelle zu Parzelle gehen, sondern nur zur Blütezeit die Nasenflügel weit geöffnet halten müsse. Dann würde man schon erschnuppern, wo die harzhaltigen Blüten stehen, die ihre Besitzer verraten würden. Das sei unverkennbar. An diesem Punkt setzte unruhiges Gemurmel ein, aus dem Gemurmel von Stuhl zu Stuhl wurde Geplapper von Tisch zu Tisch und dann, sonderbar schnell, verebbte das Geschnatter und man blickte wieder zur Vorstandsriege.
Die Einbruchserie lag noch nicht lange zurück. Eine Bande hatte sich durch Maschendraht und lückiger Hecke hindurch Zugang zur Anlage verschafft und auf der Suche nach alkoholischen Getränken etliche Lauben aufgebrochen. Bis auf eine Astschere hatte man aber alles Brauchbare dagelassen, es waren reine Genussräuber am Werk gewesen, wie die ein oder andere geleerte Schnapsflasche verraten hatte. Was würde also passieren, wenn der nahe Erholungspark zur Blütezeit im Spätsommer von merkwürdigen Duftwolken durchweht wird? Können die meist jungen Besucher, die bis in die Dunkelheit hinein im Park bleiben, diesem attraktiven Lüftchen widerstehen? Schnell war das Wort Einbruchserie wieder da, von der letzten waren die verbogenen Türrahmen und zerschlagenen Fensterscheiben noch allzu gut in Erinnerung. Von jetzt auf gleich hatte sich das Thema Hanfanbau wieder erledigt.
Für den Bundesverband der Kleingärtner trifft das allerdings nicht zu. Nicht jeder Verein hat eine Einbruchserie hinter sich, nicht jeder Verein hat klar denkende Mitglieder, nicht jeder Verein liegt am Rande eines Parks. Hinzu kommt ein Brief, der erst kürzlich, etwa vier Wochen nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes (CanG), den Verband in Berlin erreichte. Absender war ein gewisser Georg Wurth, der dem Deutschen Hanfverband vorsteht. Wurth hatte den Kommentar des Kabinettsentwurfs des CanG genau studiert. Darin steht: Privater Eigenanbau ist der Eigenanbau von Cannabis im Bereich der privaten Wohnung. Der Begriff der Wohnung im Sinne dieses Gesetzes umfasst alle privaten Wohnzwecken gewidmeten Räumlichkeiten einschließlich Gärten, Kleingärten, Wochenendhäuser, Ferienwohnungen o.ä.
Seit vielen Jahren kämpft der Hanfverband für eine Legalisierung von Cannabis und sieht seinen Siegeszug durch die Einschränkungen für Kleingärtner verständlicherweise behindert. Da es keinen jüngeren Kommentar des Gesetzgebers gebe, forderte Wurth den Bundesverband der Kleingartenvereine auf, seine Stellungnahme zu ändern.
Ist es leichter, die Arbeitsgruppe bei der Einrichtung ihres wunderschönen Parkplatzbiotops zu lenken oder vereinsinterne Regeln für den Hanfanbau aufzustellen, denen jeder folgt? Hanf nur in der Laube, nur im Gewächshaus, nur mit parkabgewandter Dunstabzugshaube? Ich weiß es nicht, aber beides wird nicht leicht. Fest steht: Patty kriegt keinen Garten.
Text und Fotos: Stefan Leppert