Vom Abschrecken und Neugierigmachen
Ein Beitrag von Stefan LeppertEs passiert gelegentlich, dass mich die gärtnerische Fachpresse regelrecht erstaunt. Das geschah wieder einmal vor ein paar Wochen, als ich die Frühjahrsausgabe von »Der Staudengarten« studierte, der Mitgliederzeitschrift der Gesellschaft der Staudenfreunde. Darin hatte sich tatsächlich jemand für eine Pflanzengattung ins Zeug gelegt, auf der es Mode geworden ist, herumzuhacken: Delphinium. Es war eine Wohltat, von Hermann Oehring über das Für und Wider und letztlich über das Für zu lesen.
Es war auch deshalb ein Leseschmaus, weil ich schon auf Krawall gebürstet war. Der Winter hatte im Münsterland spät viel Schnee gespendet, und so hatten wir noch einen Februarsamstag zum Lesen gehabt, weil der Ruf des Gartens jäh wieder verstummt war. Meine bessere Hälfte hatte kurz zuvor ein Buch geschenkt bekommen und las mir daraus vor. Geschrieben hatte es eine Journalistin, die bei Günther Jauch zu viel Geld gekommen war und sich auf ihrem davon erworbenen Stück Land ans Gärtnern gemacht hatte. Sie schrieb in ihrem Buch, wie sie sich in ihrer Unwissenheit gleich an einen Gärtner gewandt hatte. Dieser Mann war mir durch Gartenkolumnen bekannt, weniger aufgrund von ihm gestalteter Gärten. Er gab ihr jedenfalls eine Liste von Pflanzen, von denen sie besser die Finger lassen sollte, versehen mit einem zweizeiligen Kommentar, wie zum Beispiel diesem: »Rittersporn ist eine großartige Staude, wenn man sonst keine Hobbys hat. Pflege, Pflege, Pflege, Platz geben, alle halbe Stunde Wässern und Düngen, Aufbinden und Mulchen mit Schneckenkorn. Ansonsten aber problemlos.« Ob es auch an der nicht untalentierten Süffisanz der zwei Sätze gelegen hat, dass die Gartenneuling*in den Berater sogleich zum »Garten-Guru« erhob? Wir wissen es nicht.
Als sich meine bessere Hälfte nach dem Vorlesen dieser Passage wieder leise verhielt, fiel mir in der himmlischen Ruhe ein anderes Buch über die grandiose Urerfahrung beim erstmaligen Gärtnern ein, was mich dann zu meinem Regal eilen ließ. Geschrieben hatte es ein Mann, aber aus der gleichen Zunft. Ich erinnerte mich, dass ich damals aufgegeben hatte, nachdem der Autor mit vielversprechendem Namen seine Faszination über das Tragen und Ausziehen von Gummistiefeln für mitteilungswürdig gehalten hatte. Aber ich war mir sicher, dass er dem Buch hier und da praktischen Nutzwert hatte verschaffen wollen und scannte nun die Seiten mit dem Fokus auf ein Wort ab. Wie erwartet entdeckte ich bald das scheinbar Unvermeidliche. Auch er hatte den Rittersporn ins Visier genommen, die Pflanze, die das in ihrem deutschen Namen verborgene Versprechen nicht einlöse und ganz und gar unritterlich zum Umkippen neige. »Vollkommen überschätzte Pflanzen sind das. Und ein Festessen für Schnecken. Ein Rat am Rande: Lassen Sie bloß die Finger vom Rittersporn!« Auch dieser Autor erlag einer Verlockung. Der Garten, ohne Zweifel ein vielfältig beeinflusster und schwer berechenbarer Ort, erlaubt es sogar Anfängern, von ihrem Erfahrungsschatz abzugeben.
Dann rückte ich zehn Bücher weiter nach rechts, eine Journalistin aus der Schweiz, ebenfalls vom Gartenvirus infiziert, hatte vor x Jahren ein Buch geschrieben. Sie fasste sich in Bezug auf die betreffende Pflanze unschlagbar kurz: »Arbeitsaufwändig sind Beete mit Rittersporn.« Mit dem Attribut am Anfang wurde der Satz nicht gerade schöner, aber die Botschaft war klar. Anspornen wollte die (damals) junge Dame wohl kaum.
Als es mir mit den Journalist*innen gereicht hatte, brauchte es nur ein Weilchen, bis mir Christian Korsch einfiel. Er pflegt allein einen großen Garten in Mecklenburg und hat im Prinzip keine Minute übrig für Gartendiven, die gehätschelt und getätschelt werden wollen. Doch er, seines Zeichens Förster und kein Journalist, war an das Thema Rittersporn ganz anders herangegangen. Er hatte die Pflanze schön gefunden und haben wollen, obwohl sein Boden teilweise mehr als mies ist, eigentlich völlig ungeeignet dafür. Die Natur richte das schon, war er sich sicher. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass seine gepflanzten Rittersporne kümmerten, sich aber woanders ausgesät hatten und dort bestens dastanden. Das deckte sich mit meinen Beobachtungen zuhause. Auf unserem humosen Sand stehen die Sämlinge ritterlich da, die anderen teilweise auch, teilweise aber auch arg lässig. Was die Pflege betrifft, so reicht jedenfalls gehäckselter Miscanthus drum herum gegen Schnecken und klar, manchmal muss mal ein Bambusstab und eine Prise Oscorna dran – aber was soll's?
Mit dem Abmeiern durch gärtnernde Autoren nicht zufrieden, überkam mich eine Ahnung, dass es auch Menschen gab, die Gutes über die Gattung geschrieben haben. Mich dürstete geradezu nach jemandem, der mehr zu bieten hat als das Mitteilen von dem, was man besser gleich lassen sollte. Immerhin staune ich jedes Jahr über die fast magische Fernwirkung dieser Blautöne und aus der Nähe über die Rispe. Ein Kunstwerk der Natur ist das und von einer unvergleichlichen Anmut, man hört gleich die Callas singen. Hätten wir wohl Rittersporn, frage ich mich jetzt, wenn ich mehr auf den Rat eines sogenannten Gurus als auf die Stimme des Herzens gehört hätte?
Ich gebe hier nur ein paar literarische Entdeckungen zum Thema Rittersporn zum Besten. Zuerst nahm ich ein Buch mit Pflanzenbildern zur Hand. Dort fand ich eine Ritterspornstudie von Julius Schnorr von Carolsfeld, die Blume zart, beinahe flüchtig und doch eindrücklich – »wie ein Traum«, so der Begleittext. In Heinrich von Ofterdingen von Novalis, ein Zeitgenosse des Malers, ist die Ritterspornblüte nämlich genau das, das Bild einer schönen Frau, im Traum ... Ein paar Seiten weiter zeigt John Frederic Lewis in seinem Bild »Im Garten der Beis« von 1865 ausgesprochen eindrucksvoll, was den Rittersporn auszeichnet. Das Bild ist voller Blumen in allen Farben, aber woran bleibt das Auge hängen? Genau, an der einzigen blauen Blume. Das reichte mir an visuellen Eindrücken vom Rittersporn, wobei über meinem Monitor schon seit Monaten eine Postkarte mit einer Fotografie von Georg Arends hängt, darauf eine Vase voller Rittersporn. Gezüchtet hatte der Wuppertaler sie nicht, dem Zauber konnte aber auch er sich nicht entziehen.
Dann zog ich drei Bücher aus dem Regal, bei denen ich mir sicher war, dass in ihnen etwas zum Rittersporn geschrieben steht, was sich qualitativ vom bereits Gelesenen abheben würde. Lucenzbender, der wunderschöne Garten der beiden in einem Atemzug genannten Herren vom Niederrhein zum Beispiel, birgt die »herausragenden Stauden unseres Gartens. [...] Es ist nicht schwierig, solche Pflanzen selber zu ziehen.« Schau an, schau an. Natürlich darf Karl Foerster nicht fehlen, der in dem ihm eigenen Zungenschlag schrieb: »Die Morgenglorie, in der ein Rittersporngarten liegen kann, [...], entzieht sich in ihren Obertönen nicht nur dem Worte und dem Bilde, sondern auch fast der Erinnerung.« Großartig. Und Helen Dillon, die Grande Dame der irischen Gartengestaltung, bäumt sich regelrecht gegen die Rittersporn-Hasser auf, wenn sie aus lauter Liebe zu dieser Gattung sogar die verweichlichten gefüllt blühenden Sorten verteidigt und im vermeintlich Schlechten etwas Gutes sieht: »Die gefüllten Blüten von 'Alice Artindale' haben sogar etwas Gespenstisches, wenn sie ganz und gar mit Mehltau bepudert sind.« Für Dillon waren Rittersporne beileibe keine Gespenster, es waren vollkommen reelle Pflanzen, und sie beschrieb klar und deutlich, was man tun muss, um solche Rittersporne zu haben, wie man sie in ihrem Dubliner Stadtgarten bewundern konnte. Oh ja, man musste etwas für dieses Blau tun, aber was, war nicht mehr als die Beschreibung gärtnerischer Tätigkeiten. Sie schrieb halt vom Gärtnern, mehr nicht, sie machte daraus kein zauberhaftes Schlüsselerlebnis in einem bis dahin von schmutzigen Fingernägeln verschont gebliebenen Leben.
Auch die Herren Lucenz und Bender haben eine Anleitung zur Ritterspornkultur gegeben. Das Dumme dabei ist: Sie beginnen mit dem Aussäen – und das ist Arbeit, also Gärtnern. Diese Erkenntnis führt unweigerlich zu der Frage: Warum gärtnere ich eigentlich? Oder verführerischer formuliert: Was ist denn der Kitzel dabei?
Wer hat als Kind nicht mal einen Pfirsichkern in die Erde gesteckt und vergeblich auf das Erscheinen eines eigenen Pfirsichbaum gewartet? Es ist der Kitzel, etwas scheinbar Lebloses oder Schlummerndes zum Leben zu erwecken und es dann am Leben zu erhalten. Herauszufinden, wie das geht, könnte man als gärtnerische Neugier bezeichnen. Sich vom Guru davon ablenken zu lassen, wäre das genaue Gegenteil. Zweifellos ist es richtig, sich bei Kennern Rat zu holen, bevor man eine Sumpfdotterblume in den Kalkschotterrasen pflanzt. Aber am Ende (oder am Anfang!) geht es darum, eigene Erfahrungen zu machen und daran zu wachsen. Das Bedauerliche ist, dass man nie ohne Enttäuschungen durchs Gärtnern kommt. Auch die, die sich mit Rittersporn abgeben, werden davon nicht verschont bleiben. Aber wieviel tiefer ist das Empfinden, wenn es doch hinhaut, wenn sich die Annäherung ans Spiel mit der Natur gelohnt hat, vielleicht ja sogar gegen Unkenrufe? Nichts gegen Alleskönner im Garten, Epimedium und Bistorta können echt praktisch sein. Aber zum Gärtner machen sie einen leider nicht.
Judith Rakers hat ein Buch übers Gärtnern geschrieben und, wen wundert es, in die Spiegel-Bestseller-Liste geschafft. Der Untertitel verrät vielleicht den Erfolg: »Selbstversorgung ohne grünen Daumen« – was sich so anhört wie »Selbstversorgung kann Jeder« oder »Gärtnern für Doofis«. Ich habe mir das Buch nicht gekauft, könnte mir aber vorstellen, dass die Nachrichtensprecherin auch vom Rittersporn abrät. Weil man ihn nicht essen kann. Irgendwas ist immer.
Text und Fotos: Stefan Leppert