Der Specht und die Springwurzel –
das Salomonssiegel

Text: Antje Peters-Reimann
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer

Unter den einheimischen Pflanzen ist das Salomonssiegel (Polygonatum) eine der sagenumwobensten Pflanzen. Ihr Namensgeber ist König Salomo – nach Darstellung der Bibel im 10. Jahrhundert v. Chr. Herrscher des vereinigten Königreichs Israel. Ihm gehörte angeblich ein Siegelring, der direkt aus dem Paradies stammte. Der für seine Weisheit bekannte Salomo soll die Zauberkraft des Rings dafür verwendet haben, die Felsen zu sprengen, die beim Bau seines berühmten Tempels in Jerusalem im Wege waren.

Doch warum Salomonssiegel? Der Name beruht auf der Ähnlichkeit der Rhizome (also der unterirdischen Sprosssysteme) dieser Staude mit einem Siegel. Jedes Jahr entsteht an diesem Sprosssystem ein neuer Spross, aus dem die Pflanze wieder austreibt. Wenn es Herbst wird und die Stängel absterben, brechen sie vom Rhizom ab und hinterlassen eine kreisförmige Narbe, die dem Rhizom sein siegelähnliches Aussehen beschert. Der Gattungsname Polygonatum setzt sich aus den griechischen Wörtern »polys« (viel) und »gony« (Knie, Knoten) zusammen und leitet sich gleichfalls vom Aussehen des Rhizoms mit seinen zahlreichen knotigen Verdickungen ab. Der bei uns auch gebräuchliche Volksname »Weißwurz« bezieht sich auf die weißliche Farbe des Wurzelstocks.

Angeblich sollte das Salomonssiegel auch die sagenumwobene »Springwurzel« sein, mit deren Hilfe man sämtliche Schlösser und Türen öffnen oder wie Salomo eben auch Felsen sprengen könne. Ein solches Hilfsmittel war natürlich überaus begehrt. Um in seinen Besitz zu gelangen, brauchte man laut Legende die Hilfe eines Spechts. Wenn man den Eingang zum Nest des Spechts versperrte, würde dieser die magische Wurzel holen, um sich wieder Zugang zu seiner Baumhöhle zu verschaffen. Sobald der Specht den Eingang mit der Wurzel zu öffnen versuche, müsse man ihn erschrecken, damit er die Wurzel fallenließe und man sich ihrer bemächtigen könne. Mit Hilfe der Springwurzel sprängen angeblich sogar eiserne Tore auf, die große Schätze hinter sich verbergen.

Man findet das Salomonssiegel in der Natur vor allem in Laubmischwäldern auf lockerem, humus- und kalkhaltigem Lehmboden. Seine weißen, glockenähnlichen Blüten hängen nach unten. Die Pflanze ist in Teilen giftig: Ihre Blätter sind schwach, die Beeren relativ stark giftig und können bei Einnahme Erbrechen, Durchfall, Schwindel, Kopfschmerzen und Atemnot auslösen. Zu Heilzwecken wird daher nur das ungiftige Rhizom genutzt. Es hat eine lange Geschichte in der Heilkunde. Es wurde vor allem bei Blutergüssen, Prellungen, Stauchungen, Brüchen, Rückenschmerzen, Gicht, Menstruationsbeschwerden, Tuberkulose, Husten, Blasensteinen und Verstopfungen eingesetzt sowie nach der in früheren Jahrhunderten gebräuchlichen »Signaturenlehre« gegen Hühneraugen, weil diese den Narben des Rhizoms ähneln.

Der Schwarzspecht ist ein Kräutermann,

kennt manches Zauberkraut im Tann,

das im Verborgnen sprießet.
Er hält ob einer Wurzel Wacht,

die alle Schlösser springen macht

und jede Tür erschließet.

von Rudolf Baumbach (1840-1905)
Antje Peters-Reimann
Antje Peters-Reimann ist Gartenhistorikerin und Journalistin in Essen. Sie hat sich der Geschichte der Gartenkunst verschrieben und berichtet berichtet über bekannte und unbekannte Gärten und ihre Schöpfer und erzählt spannende »grüne Geschichten«!...
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Text: Antje Peters-Reimann
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer