Düfte ordnen

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Beobachten kann man mit allen Sinnen. Mit den Augen, mit den Ohren, auch mit den Fingern und mit der Nase. Während sich verschiedene Beobachter über Augen- und Ohreneindrücke schnell einig sind, können Geruchseindrücke weit auseinander liegen. Dem einen riecht es nach Vanille, der anderen nach Honig, um nur die beiden am häufigsten benutzten Duftumschreibungen zu nennen. Polygonum polymorphum 'Johanniswolke' riecht für mich immer nach Schweinestall, doch noch nie hat mir jemand diesen Dufteindruck bestätigt. Waren die alle noch nie im Schweinestall? Aber vielleicht ist es doch anders, und die Rezeptoren nehmen unterschiedlich wahr. Manchen riecht die 'Johanniswolke' nach nassem Hund oder einfach würzig streng.


Wussten Sie, dass Winterlinge an warmen Vorfrühlingstagen nach Stiefmütterchen riechen, und dass europäische Päonien oft an kalte Zigarrenasche erinnern? Die Wiesenmargerite, wie die Blüten der Birnen und des Wolligen Schneeballs riechen nach Käse, manche Schwertliliensorten nach Schokolade, die 10 Meter hohe Waldrebe (Clematis montana) 'Wilsonii' duftet sogar so intensiv nach Schokolade, dass sie ganze Gartenräume damit ausduftet!


Lange, von 2004 bis 2010 habe ich Düfte gesammelt, wollte ein Buch über Duftpflanzen schreiben. Aber es gab schon einige Duftbücher und neue kamen hinzu. Drum überließ ich das Buch dem Schicksal aller 100.000 Bücher, die jährlich nicht geschrieben werden. Vergeblich und für die Katz war die Arbeit dennoch nicht. Wie oben geschildert, läuft es bei den Düften ausnahmslos auf Vergleiche hinaus. Mit diesen Duftvergleichen allein konnte ich kein System entwickeln, aber vor allem wurde mir klar, dass eine Verständigung mit dem Leser auf dieser Grundlage kaum möglich ist, denn jeder empfindet die Düfte anders.

 

Die Duft-Grundcharaktere

Also fragte ich nach übergeordneten Grundwerten. Welche Dufteigenschaften liegen über der »persönlichen»« Note einer Art oder Sorte. Bald hatte ich 10 solcher Werte beisammen, mit denen ich zu arbeiten begann. So gibt es zwei im Charakter »süße« Eigenschaften, die eine habe ich mit »blumig/lieblich« umschrieben (B), die andere mit »fruchtig« (F). So sind z. B. die Düfte von Alpenveilchen (Cyclamen), von Ziertabak (Nicotiana x sanderae) oder Goldlack (Erysimum cheiri) blumig/lieblich, während die Pflaumeniris (Iris graminaea) und der Sommerflieder (Buddleya davidii) ausgesprochen fruchtig, ja marmeladig duften.

Diesen gegenüber stehen die Duftnoten würzig (W), herb (H) und harzig (Ha). Lavendel vereint diese drei Grundtöne. Ende Juli 2004 habe ich ihren Duft am Abend mit WHaH beschrieben. Ein Jahr später, Ende Juni, morgens, schrieb ich HHaHaW. Diese Unterschiede können mit der Beobachtung verschiedener Pflanzen, mit fortgeschrittener Blüte, mit der Tageszeit aber auch mit der Stimmung und Verfassung des Beobachters zusammenhängen.
Die Beschreibung von Pflanzendüften setzen sich nach diesem System immer aus mehreren Komponenten zusammen. Der morgendliche Lavendel machte einen besonders harzigen Eindruck.
Die Kombination mit »blumig/lieblich« erleben wir z. B. bei der Gattung Dianthus. Verschiedene Federnelken-Sämlinge beschrieb ich mit BBWW, mit BWWH aber auch mit BWWHHa.

 

Das Tierische und das Pflanzliche entspringt einer Wurzel

Wesentlich mehr Duftpflanzen kann man beschreiben, wenn man den Begriff »animalisch« hinzufügt. Ausschließlich oder betont animalisch/tierisch duften nur sehr wenige Pflanzen wie z. B. die Silberkerze (Cimicifuga ramosa) oder die Kaiserkrone (Fritillaria imperialis). Bei unendlich vielen Duftpflanzen ist animalisch (A) aber eine ganz entscheidende Zutat. Nicht von ungefähr erinnert der nächtliche Duft verschiedener Oenothera-Arten an den Geruch junger Menschen. Muscari- und Narzissenarten erhalten durch A erst ihren typischen Charakter. Besonders wenn sich die Blüte dem Ende zuneigt riechen Narzissen häufig nach Pferdestall. So wie der Käsegeruch gehört auch der Duft nach Honig zu den animalischen Komponenten. Eine der am stärksten nach Honig duftenden Pflanzen ist die Zypressenwolfsmilch am sommerlichen Straßenrand. Das Labkraut (Galium verum), »Unser lieben Frauen Bettstroh«, kommt im gleichen Lebensraum vor und hat eine köstliche, intensiv animalische Note. Bemerkenswert: bei keiner Rosenart oder –sorte konnte ich animalische Duftelemente entdecken, nicht eine Spur.

 

Auch das Stinken gehört dazu

Bleiben zwei etwas »dunklere« Komponenten, einmal der erdige Geruch (E) und die stinkende Komponente (S). Als ausgesprochen erdig empfand ich den Blütengeruch von Papaver orientalis, dem Türkischen Mohn. Pflanzen mit wohl verdientem S kommen dagegen nicht selten vor. Häufig wird das Stinken durch animalische und erdige Komponenten gespeist. Die Familie der Lippenblütler, die so reich an Wohlgerüchen ist, wartet auch mit beachtlichen Stinkern auf. Ich denke hier vor allem an die Taubnesseln, z. B. der Nesselkönig, Lamium orvala und Lamium album, aber ganz besonders an Stachys sylvatica, den Wald-Ziest, von mir als SEH, stinkend, erdig und herb beurteilt. Stinkende Duftanteile haben fast alle Silberkerzen-Arten (Cimicifuga), aber auch verschiedene Katzenminzen (Nepeta). Baldrian (Valeriana) und Centranthus ruber, die Spornblume, beide aus der Familie der Baldriangewächse, kommen ohne S nicht aus. Die tierischen Nebengerüche von Nepeta und Baldrian sind wohl der Grund, warum Katzen in Verzückung geraten.

 

Frische und schwere Düfte

Neben diesen acht Duft-Grundmerkmalen fällt bei stark duftenden Pflanzen eine Besonderheit auf. Die einen duften nach Frische, ihr Duft hat etwas Leichtes, Säuerliches, Zitroniges (Fr). Besonders bei Taglilien (Hemerocallis) kann man das feststellen. Die anderen haben einen schweren Duft, der hat etwas Festsitzendes, auch Dumpfes, er klebt wie ein Parfum (D). Das deutlichste Beispiel dafür ist die Königslilie (Lilium regale). Ihr schwerer Duft erinnert an Vanille, manchmal auch an Pferdestall. Juli 2004 bewertete ich die Königslilie mit BBFD und 2005 mit BBADD. Aus der Erinnerung ist der zweite Wert typischer: sehr blumig/lieblich, animalisch und besonders schwer. Völlig abweichend davon ist der Duft und seine Bewertung bei der Madonnenlilie (Lilium candidum). 2004 habe ich zwei Aufzeichnungen an einem Tag gemacht: Morgens BBFrFr, abends BBWFr. Die längste Duftumschreibung erhielt eine Madonnenlilie 2006: BBFWFrFr. Bei Madonnenlilien fehlt das Animalische, dafür gibt es fruchtige und würzige Aspekte zu vermerken. Und der Duft ist frisch, leicht säuerlich und weit tragend.

 

Noch ein paar Zeilen zu den Rosendüften.

Wir haben im Garten eine Rose mit dem Namen 'Bianca', die ich mit HHSFr bewertete. Wie das? Eine herb stinkende Rose? So ist es. Ihre Blüte riecht wie ein mit Karbolineum frisch gestrichener Gartenzaun! Eine moderne Rose, die 'Superstar', hat nicht nur die Farbe von Himbeeren, sondern auch den Duft. Beides ist mir zuwider. Sie erhielt die Daten BBFFFr, was heißt: sehr lieblich, sehr fruchtig und frisch. Nicht Negatives, denn alle Kürzel sind neutral. Allerdings habe ich keine Rose gefunden, die auch nur annähernd so fruchtig duftet. Alte und ältere Rosen zeichnen sich durchweg durch blumige Lieblichkeit aus, oft sind sie würzig, manchmal fruchtig, nie animalisch aber immer frisch. Hier das Beispiel Rose 'De Resht': BBWFFr. Oder Rosa centifolia: BBHWFr. Das Dumme: Die modernen Rosen, z. B. 'New Dawn', bekommen die gleiche Bewertung, ihr Duft hat aber einen völlig anderen Charakter. Damit wird klar, dass der Duftcode zwar ein Ordnungssystem darstellt, aber die individuelle Duftnote einer Pflanze nicht erfassen kann. Aber er hilft beim Duftbeobachten. Und man registriert die Düfte mit mehr Aufmerksamkeit.

 


Intensität und Qualität des Duftes

A = Animalisch

Duftpflanzen als »Maßstab«: ANIMALISCH

  • Cimicifuga racemosa
  • Muscari armeniacum

 

B = Blumig, lieblich

Duftpflanzen als »Maßstab«: BLUMIG

  • Nicotiana alata
  • Erysimum cheiri

 

D = Dumpf, schwer

Duftpflanzen als »Maßstab«: DUMPF/SCHWER

  • Mahonia aquifolium
  • Lilium regale


E = Erdig

Duftpflanzen als »Maßstab«: ERDIG

  • Papaver orientale
  • Urtica dioica


F= Fruchtig

Duftpflanzen als »Maßstab«: FRUCHTIG

  • Iris graminaea
  • Buddleya davidii


Fr = Frisch/säuerlich

Duftpflanzen als »Maßstab«: FRISCH / SÄUERLICH

  • Convallaria majalis
  • Vitis riparia


H = Herb
Duftpflanzen als »Maßstab«: HERB
  • Thymus vulgaris
  • Salvia officinalis


Ha = Harzig
Duftpflanzen als »Maßstab«: HARZIG
  • Caryopteris x cladonensis
  • Perovscia abrotanoides

 S = Stinkend
Duftpflanzen als »Maßstab«: STINKEND
  • Leucanthemum vulgare
  • Fritillaria imperialis


W = Würzig
Duftpflanzen als »Maßstab«: WÜRZIG
  • Dianthus plumarius
  • Hyacinthus orientalis
 
 
 

Die Intensität eines Duftmerkmales wird durch die Anzahl der betreffenden Großbuchstaben kenntlich gemacht.
Beispiel: WWW = besonders würzig, WW = sehr würzig, W = würzig.

 
 
Weil sich ein Duft in der Regel aus mehreren Komponenten zusammensetzt, kann eine Beschreibung
z.B. lauten BBWFr (= Rose 'De Resht')
 
Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert