Frauen-Power in Fulda
Ein Beitrag von Christian Seiffert1945 mussten mangels vorhandener Männer die Frauen für das tägliche Leben sorgen, waren als Trümmerfrauen aktiv und kurbelten das Wirtschaftsleben an. Auch die Nonnen des Benediktinerinnenklosters in Fulda standen vor großen Herausforderungen. Ihr Domizil war teilweise bombenzerstört, Flüchtlinge lebten im Kloster, auch sie mussten ernährt werden, es herrschte Hunger und es gab weder Geld noch das Notwendigste zu kaufen. Nun sind Nonnen (auch Mönche) allen Vermutungen zum Trotz immer Berufstätige, die Äbtissin verteilte die Aufgaben und jede der Frauen ging ihrer Arbeit nach. Schnell machte man sich also daran, Garten und Gemüsebau in Schwung zu bringen.
So weit, so gut. Das wäre aber noch kein Grund, über diese Benediktinerinnen ein Buch zu schreiben. Mely Kiyak, die Autorin des Buches »Ein Garten liegt verschwiegen...«, eigentlich eine politische Autorin und Journalistin, ist weitab ihres sonstigen Themenkreises in die Geschichte, oder besser Erfolgsgeschichte dieses Klosters eingestiegen, sie ist, hier wie eigentlich immer, an Persönlichkeiten gebunden. Es sind große Frauen, Führungspersönlichkeiten, eine Lehrerin, eine Apothekerin, Dichterin, Gärtnerin und eine verständnisvolle und vorausblickende Äbtissin, deren Leben und Wirken die Autorin in zahlreichen Gesprächen zu neuem Leben erweckte. Mely Kiyak ist bekannt für ihre Texte und Bücher über Minderheiten, Flüchtlinge, Migration, Abseitsstehende. Ist sie deshalb »ins Kloster« gegangen? Denn sie geht weiterhin im Fuldaer Kloster ein und aus. Sie liebt diese Frauen, bewundert deren Tatkraft, Phantasie und ihre reichen Ideen. Sie sagte einmal in einem Interview, »...das sind Pionierinnen, Revolutionärinnen und Feministinnen, Frauen, die in heutiger Zeit in Leitungspositionen säßen oder Unternehmerin wären.«
Damals bot ihnen das Kloster die Möglichkeit, aktiv und produktiv zu werden. Es ging los mit dem Garten und dem Mangel an Dünger. Eine zündende Idee kam von britischen Benediktinerinnen: Kompostwirtschaft und eine spezielle Kräutermischung, durch die Abfälle aus Haus und Garten erstaunlich schnell in wertvollen Dünger verwandelt werden können.
Die Nonnen dachten aber nicht nur an Selbstversorgung. Sie entwickelten und verkauften einen Kompostbeschleuniger, gaben ihm geschäftstüchtig den verkaufsfördernden Namen »Humofix«, unter dem er noch heute erfolgreich vertrieben wird. Dazu mussten die entsprechenden Kräuter angebaut werden. Als Nebeneffekt lieferten sie auch die Essenzen für einen Kräuter-Klosterlikör, der auf Initiative der Apothekerin unter den Nonnen entwickelt und zum Verkaufserfolg wurde.
Mit der Kompostwirtschaft begann, aus der Not geboren, der Bio-Gartenbau im Kloster. Über Jahrzehnte wuchs so ein großer Wissensschatz, dem immer wieder Neues hinzugefügt wurde, z. B. die Mischkultur, Regenwurmvermehrung oder der Anbau und die Verwendung von Comfrey (Beinwell). Aber die Nonnen wollten ihr Wissen nicht für sich behalten. Sie sorgten aktiv für seine Verbreitung und begannen, die gedruckten »Winke für den Biogärtner« herauszugeben, die auch heute noch dreimal jährlich erscheinen und über die Website des Klosters abonniert werden können. Erkenntnisse ihrer Leser wurden bereitwillig aufgenommen und verbreitet, lange, bevor es »social media« gab. Bei dieser Zeitschrift hilft ihnen gelegentlich Mely Kiyak, die dem Kloster von Herzen verbunden bleibt.
Am Kloster sind die modernen Zeiten nicht spurlos vorüber gegangen. Viel Land, das das Kloster außerhalb der Stadt besaß, musste an die Stadt verkauft werden. Waren es einst 100 Nonnen, so leben heute dort noch 28 Frauen. Sie aber lieben, hegen und pflegen ihren kleiner gewordenen Garten. Und von ihm leben sie auch heute noch. Sie betreiben einen erstaunlich modernen Kloster-Laden, deren Artikel auch über den Web-Shop bestellt werden können. Hier findet man nicht nur das berühmte Humofix, sondern auch Gartenbücher, allerlei Zubehör rund um den Garten und vieles mehr. In den 80er Jahren wurde eine Nonne zum Gartenbaustudium geschickt. Schwester Christa leitet das Gartengeschehen noch heute, führt Besucher-Gruppen und erläutert in Vorträgen die Geschichte des Klostergartens und die Anbau-Prinzipien. Ihr gelang es während des Studiums, zum Ärger der Lehrer, erfolgreich eine Resistenz gegen chemische Düngemittel zu entwickelt.
Wenn man mit Mely Kiyak durch das Kloster geht, begegnet man nicht nur der Benediktiner-Lebensregel »ora et labora«. Die dort lebenden Frauen sind vergnügt, haben den Schalk im Nacken. Die Klostermauern geben ihnen Freiheit und Sicherheit. Ein lesenswertes Buch und ein besuchenswerter, Gäste willkommen heißender Ort, der gern einen Blick in die uns sonst verschlossene Welt gewährt.
Ein Garten liegt verschwiegen
von Mely Kiyak
120 Seiten
Atlantik-Verlag
ISBN: 978-3-455-37020-1
Text und Fotos: Christian Seiffert