Jamlitzer Spätsommer
Ein Beitrag von Christian SeiffertBis kurz nach unserer Ankunft hier (16.08.2022) tobten sich Hitze und Trockenheit in extremer Weise aus. Nachts sorgten Temperaturen von 20° für schlechten Schlaf und tagsüber der Anblick des Gartens für trübe Gedanken. Wie soll es hier weitergehen, wenn die kommenden Jahre sich in ähnlicher Weise fortsetzen? Eine Frage, die wohl alle Gärtner, Landwirte und Förster bewegt. Nun sind wir in Jamlitz nicht gezwungen, Obst und Gemüse anzubauen, ja, wir sind dazu wegen unserer nur seltenen Anwesenheit auch gar nicht in der Lage. Aber irgendeinem Zweck sollte ein Garten ja dienen. Was gibt es für einen schöneren Zweck, als ihn wenigstens zum Teil der Natur zu überlassen? Und was gibt es für einen schöneren Zweck, als die natürlichen Geschehnisse zu beobachten und evtl. zu dokumentieren?
Besonders auffallend nach unserer Ankunft hier war der doch gute Zustand aller Gehölze. Ob Zwerggehölze, wie Thymiane, Heiligenblumen, Lavendel, selbst der Buchs trotz Zünsler (dank Bacillus thuringiensis), bis zu den Laubbäumen im Wald, alle sahen lebendig und halbwegs frisch aus. Von den Zistrosen hatte ich es ohnehin nicht anders erwartet. Sorgen bereiten dagegen die Kronen der Kiefern, bei ihnen macht sich der sinkende Grundwasserspiegel deutlich bemerkbar, eine Geschichte vieler Jahre. Weil unsere eigene Pumpe dadurch eines Tages trockenfiel, ist auch das Wässern zu einer sehr teuren Angelegenheit geworden, d.h.: es unterbleibt.
Bei den Stauden fallen große Unterschiede auf. Leider haben Phloxe und Päonien im Jamlitzer Garten keine Zukunftsaussichten mehr. Wohl aber Taglilien, Yucca, einfache Sorten von Iris barbata, viele Sedum-Arten und
–Sorten, verschiedene Origanum, Calamintha und Sempervivum. Im Halbschatten sind Vinca minor und Epimedium alpinum unverwüstlich.
Anspruchslose Frühlingsgeophyten passen gut in den Witterungsablauf. Scilla, Crocus, Wild-Tulpen, Puschkinien und Traubenhyazinthen sind unproblematisch, nur muss es in Herbst und Winter auch mal regnen. Acker-Gelbstern (Gagea villosa) ist hier heimisch, Ornithogalum umbellatum, der Milchstern, schon lange verwildert. Sie passen alle gut zum Wildgarten.
Überhaupt ist von Interesse, welche nach Jamlitz transferierten Wildstauden sich im Wildgarten auf längere Zeit behaupten und wie sie sich in das freie Geschehen einordnen. Der Blut-Storchschnabel hat in ganzer Breite fußgefasst und wird sich weiter behaupten. Das Gleiche gilt für die Osterluzei (Aristolochia clematitis) und für die Steppenwolfmilch (Euphorbia seguieriana ssp. niciciana). Anthericum liliago, die große Graslilie, beginnt sich durch Samen zu vermehren, Artemisia pontica macht's vegetativ. Die Thymiane Thymus longicaulis, der Kaskadenthymian und Thymus pulegioides 'Tabor' hatten anfangs unter zu großer Kälte gelitten, die »Nicht-Winter« der letzten Jahre aber bestens bewältigt. Die Trockene Hitze setzt ihnen nicht zu. Was sich auf dem weiten Feld der »Kurzlebigen« abspielt, dazu ein andermal.
Jetzt aber noch eine »Gehölzstaude«, die auch zu den halbwegs integrationswilligen Pflanzen gehört: Die Weinraute, Ruta graveolens. Sie ist geschmäcklerisch, liebt den Stein, liebt offenbar auch Kalk. Deshalb sind einige Aussaatversuche in den mehr sandigen Bereichen fehlgeschlagen. Auf zusagenden Standorten aber gibt es Nachwuchs. Mit dieser Wildart vom Gardasee hat es noch eine besondere Bewandtnis: Die trockene Hitze dieses Sommers hat nun auch die ohnehin raren letzten Schmetterlinge vertrieben. Nicht einmal Allerweltsfalter wie Pfauenaugen oder Füchse lassen sich sehen. Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass wir fast jährlich im August Raupen des Schwalbenschwanzes an der Ruta finden. Wenn die sonst geschätzten Doldenblütler wie Kümmel, Möhren oder Fenchel fehlen, oder, wie in Jamlitz, vertrocknet sind, weichen die seltenen Falter auf Ruta graveolens aus. Eine Freude, wie die Raupe von Tag zu Tag dicker wird, um dann plötzlich zu verschwinden. Hoffentlich nicht im Magen eines Vogels, sondern um sich an einem nahen Gehölz zu verpuppen. Man sollte allerdings wissen, dass dieses uralte Würz- und Heilkraut Furanocumarine enthält; Hautkontakt mit ihrem Laub ruft also besonders bei Sonnenschein phototoxische Reaktionen hervor. Zum Glück ist die Raupe davon unbeeindruckt, sie genießt das starke Aroma.
Text und Fotos: Christian Seiffert