Kürbiswelten

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Mein Großvater, eifriger Gemüsegärtner und Italienkenner, baute Gemüse an, das den Jamlitzern sehr fremd und höchst verdächtig vorgekommen sein muss. Mais wird dort heute feldmäßig angebaut, in den 40er bis 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts aber war der Körnermais meines Großvaters vermutlich der einzige weit und breit. Topinambur kannte auch nur er, allenfalls bauten ihn einige Jäger zur Wildäsung an. Ganz etwas Neues war auch ein Kürbis, den er »Zucchetti« nannte. Unter diesem Namen hatte er ihn in Italien kennen gelernt. Für die alten Jamlitzer ein merkwürdiger Kürbis, ohne lange Triebe, dafür fast horstig wachsend und fruchtend. Sie kannten nur den Riesenkürbis, der sich weit über das Feld ausbreitete und Früchte bis zu einem Zentner hervorbrachte. Heute werden Zucchetti bei uns Zucchini genannt, sie werden von vielen Gartenbesitzern angebaut, auch über das ganze Jahr in den Supermärkten angeboten. Zu den zwei Namen sei angemerkt, dass in Italien beide Namen gebräuchlich sind, je nach Landschaft und Mundart. Es sind im Deutschen Plural-Namen, im Singular würden sie Zucchetto bzw. Zucchino heißen.

War es ein Zufall oder Fügung des Schicksals, ich habe mich 10 Monate lang mit Zucchini beruflich beschäftigt, ohne dass es langweilig wurde. Dass kam so: Nach dem Abitur wollte ich in die Wissenschaft hineinriechen und zwar am Institut für Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Mein Chef Igor Grebentschikow war Genetiker und hatte 1954/55 gerade Cucurbita pepo ssp. pepo, die Zucchini am Wickel, betrieb an ihnen genetische Grundlagenforschung. Als ich dazukam, wurde ich dazu auserkoren, die reifen Früchte zu vermessen, die Samenanlagen, Plazenten zu zählen, mit der Zunge zu prüfen, ob sie bitter oder nicht bitter schmecken. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin führte Buch. Später, als das Kürbisschlachten beendet war, bekam ich die Zahlen und Maße auf den Schreibtisch und musste meine Mathematikkenntnisse aktivieren, Tabellen anfertigen, Gaußsche Kurven berechnen etc.. Meine Arbeit ging im Frühsommer weiter, als die nächste Kürbisgeneration kurz vor der Blüte stand. Um ungewollte Fremdbefruchtung zu verhindern, wurden weibliche wie männliche Blüten am Tag vor dem Öffnen eingetütet, am Tag der Blüte dann die Bestäubung per Hand vorgenommen, was bei Kürbisblüten unproblematisch und sehr einfach ist. Jede Blüte erhielt ein Etikett mit Angaben der Eltern. Hatten die Zucchini eine ausreichende Größe, wurden die Angaben vom Etikett mit einem Nagel in die Früchte eingraviert, wo sie schnell vernarbten. Eine Verwechselung war nun nicht mehr möglich. Soweit mein sehr inniges Verhältnis zu diesem Kürbis.

Viel später lernte ich den »Vetter« Cucurbita pepo ssp. styriaca, den steirischen Ölkürbis kennen: Im Freien auf den Feldern, wo er zwischen Körnermais wuchs, und in der Gastwirtschaft als Sterz (eine Art Polenta auf steirisch/österreichisch), übergossen mit etwas Kürbiskernöl. Der Ölkürbis macht im Unterschied zu Zucchini lange Ranken. Der entscheidende Unterschied: Die Samen haben keine feste Schale sondern nur eine dünne Haut. Die Verarbeitung zu Öl ist dadurch ganz wesentlich erleichtert. 1735 begann die Geschichte des Ölkürbis. Es wurde eine Mutante mit schalenlosen Samen entdeckt, mit der weiter gezüchtet werden konnte. Übrigens haben die Ureinwohner Mittel- und Südamerikas Curcubita pepo und andere Kürbisarten schon vor 10.000 Jahren angebaut. Sicher, um die sehr nahrhaften Samen zu gewinnen. Das Fruchtfleisch war und ist bei den Wildkürbissen sehr bitter und obendrein hochgiftig. Ich habe das tagelange Lecken an den Kürbissen gut überstanden, weiß aber von einem Fall, der im Krankenhaus landete. Das »Bitter-Gen« taucht immer wieder mal auf. Darum sei vor Nachbau gewarnt, es empfiehlt sich, zertifiziertes Saatgut zu verwenden.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert