Unsterblich und sauer
Ein Beitrag von Christian SeiffertFangen wir mit dem Krümelpudding an. Kleingeschnittener Rhabarber kommt in eine Auflaufform. Dazu Zucker, aber nicht zu viel. Obendrauf kommen Streusel. Die Form bleibt so lange in der Röhre (bei 170°) bis die Streusel hellbraun sind. Dazu gibt es eine Vanillesauce, natürlich mit echter Vanille und nicht mit Vanillin! 8 Stangen Rhabarber reichen für 2 Personen, die danach voll gesättigt sind. Das Hefeblech mit Rhabarber und viel Streusel steht dem Krümelpudding nicht nach. Kurz: ich bin ein Fan von Rhabarber, der selbstverständlich im eigenen Garten wächst. Weil Rhabarber für Süßspeisen verwendet wird, finde ich es hochgradig dumm, ihn zu den Gemüsen zu rechnen. In den USA zählt er übrigens amtlich zum Obst!
Wir sind glückliche Besitzer einer einzigen Pflanze und das seit ca. 25 Jahren. Sie nimmt jedes Jahr an Umfang zu und beschirmt Ende Mai rund 2 Quadratmeter. Sich so ausdehnend, ist die Staude eine große Verdrängerin, die Nachbarn zum Umzug zwingt. Gedüngt wird der Rhabarber ausschließlich mit Kompost, und das scheint ihm gut zu bekommen. Wenn ich mir die Qualität und die Preise von Rhabarber in Geschäften anschaue, weiß ich, was für einen Schatz wir besitzen. Die bis 3,5 cm starken Stiele können sich sehen lassen.
Mit der beginnenden Erntezeit haben wir die dicken Blütenknospen ausgebrochen, damit nicht zu viel Energie für die Blüten verschwendet wird.
Nach der Rückkehr (wir waren 14 Tage in Jamlitz), blühte der Rhabarber lichterloh an 4 Stängeln. Welch eine Freude, ihn wieder blühen zu sehen! Ist auch die Einzelblüte kaum zu erfassen, so sind die Blütenrispen eine Augenweide. Doch auch, wenn man die Sache aus der Nähe betrachtet, gibt es manches zu entdecken. Denn die Rhabarberblüte hat eine große Anziehungskraft. Als erstes fiel auf, wie sich eine Hornisse – die erste in diesem Jahr – für die Pflanze interessierte. Dann sind es seit Tagen Rosenkäfer, genau Goldglänzende Rosenkäfer, die sich für den reichlich anfallenden Pollen interessieren. Von kleinen Wildbienen und Fliegen ganz zu schweigen, haben Graue Gartenwanzen mit dem schönen zoologischen Namen Rhaphigaster nebulosa die Rhabarber-Blütenrispen als Hochzeitsbett auserkoren. Man ist ja bescheiden geworden. Schon solch kleines Insektenerlebnis kann einen heute zu Begeisterungsrufen hinreißen.
Als ich einer Italienerin erzählte, dass wir Rhabarber in Deutschland essen, schüttelte sie sich entsetzt. In ihrem Garten stand eine Riesenstaude in voller Blüte. Wem bei uns Rhabarber auch zu sauer ist, der braucht auf die Schönheit dieser Pflanze nicht zu verzichten. Rheum palmatum, eine Rhabarberart mehr zu Zierzwecken weist Besonderheiten auf, wie tief eingeschnittene, anfangs rötliche Blätter. Die Blütenstiele werden bis zu 2 Meter hoch. Beide Arten, sowohl unser „Obst-Rhabarber" Rheum rhabarbarum wie der „Palmblatt-Rhabarber" stammen aus dem Himalaja, aus Tibet, machten eine lange Reise als Medizinpflanzen über den arabischen Raum und Russland bis nach Westeuropa. Dabei waren die medizinischen Drogen, aus dem Wurzelstock gewonnen, dort viel früher, schon im Mittelalter, gegen Magen- und Darmkatarrhe gebräuchlich. Höhere Dosen dienten als Abführmittel.
Dieser heilsame Wurzelstock steht auch hinter dem Namen Rheum rhabarbarum. Das griechische Wort rheon, vermutlich aus dem Persischen entlehnt, bedeutet wohl Wurzelstock einer Pflanze. Das Wort Rhabarber wiederholt eigentlich den Gattungsnamen, denn auch das griechische rha bedeutet Wurzelstock. Dass man Rhabarber essen kann, wurde erst im 18. Jahrhundert bekannt. Da begann auch der gewerbliche Anbau. Auf den Namen hatte das keinen Einfluss mehr.
Text und Fotos: Christian Seiffert