Wachstum

Text: Christian Seiffert

Fotos: Christian Seiffert und Angelika Traub

Kaum ein Wort kann so viel Positives und gleichzeitig Negatives beinhalten wie der Begriff »Wachstum«. Fangen wir ganz klein an: Der Zirkus mit dem Rasen. Alles wird getan, um ihn wachsen zu lassen und dann bemüht man sich, seinem Wachstum möglichst schnell wieder Einhalt zu gebieten. Oder die Hecke. Wenn möglich soll sie zweimal geschnitten werden, was dann das Wachstum erst richtig in Gang bringt. Auf Wachstum basiert andererseits der Erfolg jeder gärtnerischen, forstwirtschaftlichen und bäuerlichen Tätigkeit. Die Pflanzen, die Tiere sollen wachsen bis zur Reife, bis zur optimalen Größe.

Wenn Wachstum über die optimale Größe hinausgeht, kann es sehr bald ins Negative umschlagen. Harmlos sind die Fälle der schnell zu großen Bäume in kleinen Gärten. Als niedliche Kuschelbäume gekauft, sprengen sie in Kürze den Rahmen. Früher war das Stroh ein begehrtes Nebenprodukt des Getreides. Die vielerorts strohlose Aufstallung macht Stroh überflüssig. Beim Mähdrusch ist das lange Stroh nur lästig. Also wurde das Getreide mit Hormonen (Wachstumsregulatoren) gekürzt. Bei der Züchtung von Getreiden wird auf Kurzstrohigkeit selektiert. Heute sieht man im Sommer kaum noch Lagergetreide, das Kurzhalmgetreide ist stabiler. Hormonbehandlung ist auch in der industriellen Topfpflanzen-Produktion nicht unbekannt. Schön gedrungen und puschelig sollen die Pflanzen in den Verkauf gehen.

Pflanzen, Tieren und die Menschen können nicht beliebig wachsen. Ihre Größe ist genetisch vorgegeben. Ein »Darüber hinaus« scheitert an der Stabilität, an der Schwerkraft der Erde oder daran, dass innere Organe nicht mitwachsen. Die höchsten Bäume auf der Erde sind ca. 120 m hoch. So hoch müssen sie das Wasser zu den jüngsten Trieben empor pumpen.

Wachstum kann man aber nicht nur am einzelnen Wesen messen. Wachstum zeigen auch Populationen. So kann sich eine Art in einem bestimmten Bereich überdimensional vermehren. Das geschieht dort, wo die Widersacher fehlen, Fressfeinde, die sonst für Ausgleich und Gleichgewicht sorgen. Bis endlich Marienkäfer und Florfliege segensreich eingreifen, können Blattlauspopulationen gefährlich anwachsen Deshalb können sich auch Neophyten so unsäglich ausbreiten, ihnen fehlen oft die Fressfeinde, von denen sie in ihren heimischen Gefilden kurz gehalten werden. Auch durch Handel eingeschleppte Schädlinge können so verheerend wirken, (Buchszünsler!). In normalen Lebensgemeinschaften kann sich eine Art, eine Population nicht hemmungslos vermehren. Nicht einmal der Giersch. In der Wildflora ist er gleichberechtigter Partner unter vielen anderen Arten. Im Garten mit offenem Boden wird er zur Pest. Mäuseplagen steigern zwar die Aktivität der Mäusefänger wie Wiesel und Bussard. Doch sie allein schaffen es nicht. Oft sind es ansteckende Krankheiten, die das Massenaufkommen beendet.

Wirklich problematisch ist aus dieser Sicht der großflächige Anbau einer Feldfrucht. Sie wird fast automatisch von unzähligen Widersachern angegriffen. Ein gewisser Bestand an »Unkräutern« würde ganz ohne Einsatz von Pestiziden für Gleichgewicht sorgen. Geflügelfarmen, in denen tausende Tiere dicht gedrängt »leben« müssen, sind nur mit massiver Medikamentierung möglich.

Und so sind wir mittendrin im Elend des Wachstums. Der Umsatz muss steigen, der Gewinn muss steigen, auf das Bruttosozialprodukt wird gestarrt, das Wachstum ist Staatsdoktrin. In der Natur hingegen wurden und werden Wachstumsexzesse in kurzer Zeit beendet. Doch der Mensch meint, über der Natur zu stehen. Als Jäger und Sammler waren die Menschen Bestandteil der Natur. Noch heute gibt es Volksgruppen in Südamerika und in Indonesien, die in Einklang mit ihrer Umwelt leben. Da sie von dem leben, was ihnen die Natur liefert, kann ihre Population auch nicht anwachsen. Damit sind sie früher oder später unter dem Druck der Zivilisation zum Aussterben verurteilt. Ein Schicksal, das der übrigen Menschheit etwas später auch bevorsteht, weil sie im Begriff ist, sich aller Lebensvoraussetzungen zu berauben. Dass die Natur immer wieder versucht, dem Wachstum der Menschheit Einhalt zu gebieten, scheitert an der Intelligenz von Homo sapiens. Aber wie lange noch?

PS: Freuen können wir uns immerhin am mächtigen Grünwachstum dieses Frühjahrs. Viele Niederschläge und wenig Sonnenschein lassen die Gärten blattbetont erscheinen, die Blüten treten zurück. Aber: Die Wassertonnen sind voll und hoffen wir, dass auch der Grundwasserspiegel wieder steigt.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
Mehr lesen

Text: Christian Seiffert

Fotos: Christian Seiffert und Angelika Traub